Mythen über Triggerwarnungen: Was stimmt? Was ist falsch? Worüber müssen wir reden? Ein Versuch der (wissenschaftlichen) Erklärung
Das Thema „Triggerwarnungen in der Literatur“ wurde in den letzten Monaten immer wieder intensiv diskutiert.
Sind Trigger- oder Inhaltswarnungen in Büchern hilfreich? Nützlich? Schädlich? Viele Blogger*innen und Kolleg*innen aus der Buchbranche haben sich dazu bereits Gedanken gemacht. Trotzdem hatte ich das Bedürfnis, das Thema noch einmal aufzurollen und von einer etwas wissenschaftlicheren Perspektive zu betrachten. Immerhin bin ich Psychologin und Sozialwissenschaftlerin, da war es mir wichtig, auch auf dieser Ebene argumentieren zu können.
Na, fühlst du dich getriggert?
Gerade in den Social Media wird der Begriff „Trigger“ oder „getriggert“ oft verwendet, um sich über Menschen lustig zu machen, die angeblich überempfindlich auf bestimmte Themen reagieren. Häufig geht es dabei um Sexismus, Diskriminierung oder Feminismus. Die Reaktion „bist du getriggert, oder was?“ dient dabei letztlich nur dem Ziel, eine Diskussion möglichst schnell dadurch zu ersticken, dass der/die Kritiker*in als überempfindlich, hysterisch oder humorlos abgestempelt wird. Und selbst abseits dieses Phänomens wird der Begriff „getriggert“ häufig dann verwendet, wenn sich jemand über ein Thema aufregt, vor allem über eines, das die Person persönlich betrifft.
Was bedeutet eigentlich „Trigger“?
Im psychologischen Sinne bedeuten „Trigger“ hingegen etwas völlig anderes. Der Begriff stammt aus der Trauma-Forschung und bezeichnet Reize, die bei Betroffenen potenziell Erinnerungen („Flashbacks“) an ein erlebtes Trauma, Angstattacken oder depressive bzw. suizidale Gedanken auslösen können. Auf Bento gibt es ein sehr gutes Interview mit einem Psychologen, der das Thema sehr differenziert erklärt.
Die Konfrontation mit einem Triggerreiz kann sich für Betroffene so anfühlen, als würden sie die Situation des Traumas noch einmal vollständig durchleben, sie werden von Gefühlen der Angst und Panik überflutet, bekommen keine Luft, sind wie gelähmt oder brechen unkontrolliert in Tränen aus. Wer sich dieser Erfahrung einmal stellen möchte, findet z.B. in diesem Artikel der ZEIT einen sehr emotionalen Bericht einer Betroffenen mit Missbrauchserfahrung, die auch schildert, wie sie Flashbacks erlebt.
Trigger heißt NICHT Empfindlichkeit!
Gerade für Betroffene ist die Verharmlosung des Begriffs also ein massives Problem. Die Konfrontation mit einem echten Triggerreiz kann nicht ansatzweise mit Unwohlsein oder Empfindlichkeit verglichen werden. Das ist so, als würde man einen Patienten mit offenem Bruch am Arm als empfindlich abtun, weil er über Schmerzen klagt.
Alles kann ein Trigger sein, ich kann doch nicht vor allem warnen!
Es stimmt, Triggerreize sind hochspezifisch und häufig an Details geknüpft, z.B. bestimmte Gerüche, Farben oder Situationen, die mit dem erlebten Trauma verbunden werden. Manchmal können Triggereize auch völlig unlogisch erscheinen und häufig nur von den Betroffenen selbst identifiziert werden. Vor unspezifischen Details kann man seine Leser*innen natürlich schlecht warnen, denn auch ein dunkelblaues Auto oder eine bestimmte Ecke in München können bei Betroffenen Flashbacks auslösen. Dennoch gibt es bestimmte Triggerreize, die von Betroffenen besonders häufig beschrieben werden, z.B. die Darstellung sexueller Gewalt, der (gewaltsame) Tod von Angehörigen, Mobbing, selbstverletzendes Verhalten oder Suizid (Alex hat auf Alpakawolken einige Beispiele zusammengetragen).
Wer sich also mit dem Begriff „Trigger“ in diesem Kontext nicht wohlfühlt, kann auch einfach von „Inhaltswarnungen“ oder – ganz neutral – von „Contentnotes (CN)“ sprechen.
Triggerwarnungen sind Zensur und beschneiden die freie Meinungsäußerung!
Nein. Zunächst ist es wichtig überhaupt den Begriff „Zensur“ zu definieren, denn Zensur bedeutet „von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle“ (Duden). Solange Triggerwarnungen also nicht genutzt werden, um systematisch Bücher zu verbieten oder Autor*innen für die Verwendung bestimmter Themen zu bestrafen, müssen wir uns keine Sorge um Zensur machen.
Triggerwarnungen an Universitäten? Eine Kontroverse
Die Argumentation ist insbesondere aus dem amerikanischen Raum nach Europa geschwappt, wo Universitäten von Studierenden dazu angehalten wurden, behandelte Literatur mit Triggerwarnungen zu versehen oder nicht mehr im Unterricht zu behandeln (z.B. Artikel in The Guardian) – definitiv ein Problem im akademischen Kontext.
Diese Problematik lässt sich aber nur unzureichend auf die Belletristik in Deutschland übertragen. Zum einen kamen die Forderungen in den USA mitunter nicht von Betroffenen, sondern auch von Studierenden, die sich mit den streitbaren Themen „unwohl“ fühlten und einer Diskussion aus dem Weg gehen wollten. Zum anderen fordert der akademische Kontext nun einmal die Auseinandersetzung mit komplexen, schwierigen Themen, während Leser*innen Belletristik überwiegend in ihrer Freizeit konsumieren und nach eigenen Interessen und Wünschen auswählen können. Das heißt nicht, dass die Belletristik nicht auch von Konflikten und streitbaren Themen lebt, aber letztlich müssen Leser*innen selbst entscheiden, in welchem Rahmen sie sich damit beschäftigen.
Freiwillige Selbstkontrolle
Triggerwarnungen sind also eher als Konzept der freiwilligen Selbstkontrolle zu verstehen. Wer sich daran orientieren will, kann das tun, es besteht aber kein Zwang. Letztlich ist ja jede Entscheidung für oder gegen ein Buch von unterschiedlichen Eindrücken getragen, vom Cover, vom Klappentext etc. Niemand käme auf die Idee, Klappentexte als Mittel zur Zensur zu betrachten – warum also Triggerwarnungen? Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein Buch nicht kauft, weil ihm Klappentext oder Cover nicht gefallen, ist sicher um ein vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Buch wegen Triggerwarnungen im Regal bleibt. Im Fanfiction-Bereich oder auch bei Videospielen sind Content Notes auch schon lange etabliert, und von Zensur ist da nach wie vor nichts zu sehen. Der Bereich boomt sogar.
Triggerwarnungen sind schädlich, weil sie Menschen dazu bringen, Problemsituationen zu meiden.
Das ist zwar korrekt, aber zu stark vereinfacht.
Studien oder Untersuchungen dazu sind bisher rar gesät und viele davon beziehen sich auf den universitären Kontext und damit v.a. auf Nicht-Betroffene. Studien aus dem klinischen Bereich, die auch Betroffene einschließen, kommen auch zu gegenteiligen Erkenntnissen und sehen Triggerwarnungen als hilfreich an. Einige Thesen möchte ich hier kurz kommentieren.
Triggerwarnungen und Vermeidungsverhalten
Der Jurist Greg Lukianoff und der Sozialpsychologe Jonathan Haidt stellen in einem ausführlichen Beitrag die These auf, dass es für Betroffene schädlich sei, vor potentiell Trauma auslösenden Reizen geschützt zu werden, da es die Bewältigung des Traumas verzögere. Mehrere Studien liefern Hinweise darauf, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Triggerwarnungen und Vermeidungsverhalten gibt, d.h. diese Vermutung ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Eine große australische Studie an über 1600 Personen fand allerdings nur eine minimale Rate von Probanden, die aufgrund von Triggerwarnungen eine Studie abbrachen und der Unterschied zu Probanden ohne Warnung war sehr gering (1.4 % in der Bedingung mit Triggerwarnung, 0.05 % ohne).
Ergänzung (vom 16. Mai 2021): Auch in anderen Studien, z.B. von Matthew Kimble oder Madeleine Bruce, entschied sich nur ein kleiner Anteil der Teilnehmenden dazu, mit Triggerwarnungen versehene Medien zu meiden. Das galt auch für Teilnehmende mit einer Trauma-Vorgeschichte. Es lässt sich also nicht klar sagen, dass Triggerwarnungen wirklich zu Vermeidung führen.
Konfrontations-Therapie
Klinische Psycholog*innen sehen keinen Vorteil darin, Betroffene unkontrolliert mit Traumareizen zu konfrontieren. Die Gewöhnung an traumatische Reize und die Bewältigung dieser Erfahrung sollte vielmehr im sicheren Rahmen einer Behandlung erfolgen und von den Betroffenen selbst gesteuert werden. Die unkontrollierte und vor allem unvorbereitete Konfrontation mit einem Triggerreiz führt eher zu negativen Effekten, schlimmstenfalls zu einer erneuten Traumatisierung. Das kann nicht das Ziel sein. Betroffene sollten eigenverantwortlich und selbstbestimmt entscheiden können, wie, wann und in welchem Rahmen sie sich ihren Erfahrungen stellen. Niemand sollte sich anmaßen, diese Entscheidung für sie treffen zu wollen, egal wie „gut gemeint“ diese Idee vielleicht war. Zum Vergleich: Niemand käme (hoffentlich!) auf die Idee, einer trockenen Alkoholikerin heimlich Wein einzuschenken, damit sie lernt, kontrolliert zu konsumieren. Diese Entscheidung muss bei der Betroffenen und therapeutischen Begleitpersonen liegen – nicht bei Außenstehenden.
Ergänzung (16. Mai 2021): Eine neuere Studie aus Vermont legt nahe, dass potenziell triggernde Szenen bei Studierenden mit posttraumatischer Belastungsstörung zu einer stärkeren Belastung führen als bei nicht Betroffenen. Diese Belastung war allerdings – erwartungsgemäß – nur kurzfristig und nach 14 Tagen zeigte sich der Unterschied nicht mehr.
Triggerwarnungen sind schädlich, weil sie Angst auslösen statt sie zu vermeiden!
Auch diese These ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.
Triggerwarnungen können so genannte „selbst erfüllende Prophezeiungen“ darstellen: Wer glaubt, dass ein Text/Medium eine negative Wirkung auslösen kann (z.B. Angstzustände), erwartet diese Effekte und wird sie damit stärker erleben als ohne Vorwarnung.
Unspezifische Warnungen: Studienergebnisse
In diesem Zusammenhang wird vor allem eine Studie der Harvard University von Bellet, Jones und McNally zitiert. In dieser erhielten Studierende eine unspezifische Triggerwarnung („Warnung: Die nachfolgenden Szenen können verstörende Inhalte enthalten, die v.a. bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen Angstzustände auslösen können“) und sollten nachher eine gelesene Szene bewerten. Die Personen in der Trigger-Bedingung berichteten nachträglich über mehr Unwohlsein und Stress als die in der Kontrollbedingung ohne Warnung. Diese Effekte konnten in einer zweiten Studie nicht vollständig repliziert werden, wobei auch hier eher eine Zunahme von Ängstlichkeit durch Triggerwarnungen beobachtet wurde. Auffällig ist jedoch, dass in beiden Studien teils sehr unterschiedliche Effekte gefunden wurden, was dafür spricht, dass es keine einheitliche Antwort auf die Frage gibt, wie Triggerwarnungen bei nicht traumatisierten Personen wirken.
Eine australische Studie von Bridgland und anderen kommt zu einem ähnlichen Schluss: Proband*innen, die eine unspezifische Warnung erhielten, erwarteten mehr negativen Inhalt auf nachfolgenden Fotos als solche ohne Warnung und fühlten sich im Vorfeld angespannter. Die anschließende Bewertung der Fotos hingegen zeigte, dass vorgewarnte Probanden den Inhalt als tendenziell weniger belastend einschätzten. Sie konnten sich also nach einer kurzen Phase erhöhter Ängstlichkeit etwas besser auf den Inhalt vorbereiten, obgleich der Effekt sehr gering war.
Einschränkungen der Studien
Die beiden Studien sind allerdings aus verschiedenen Gründen keine solide Basis für die Diskussion um Triggerwarnungen oder Content Notes in Büchern. Zum einen bezieht sie sich primär auf Personen, die kein Trauma erlebt haben, und die damit gar nicht die Zielgruppe darstellen. Zum anderen zielt die unspezifische Art der Warnung eher darauf ab, Sorgen und Ängste zu erzeugen, und hilft nicht dabei, sich konkret auf bestimmte Situationen vorzubereiten. Viele Horrorfilme und -games arbeiten sogar gezielt mit solchen „Warnungen“, um die Rezipient*innen in eine Gruselstimmung zu versetzen. Dass solche „Warnungen“ also nicht funktionieren, schon gar nicht bei Personen, die gar keine Traumastörung haben, überrascht wenig.
Wenn wir aus dieser Studie etwas lernen können, dann, dass Inhaltswarnungen spezifischer Natur sein und sich gezielt an Betroffene richten sollten. Ideal wäre es also, sie so zu platzieren, dass sie von Betroffenen leicht gefunden, von Anderen aber auch problemlos ignoriert werden können.
Triggerwarnungen in der klinischen Praxis
Mehr Aufschluss zu dem Thema im klinischen Kontext gibt ein Studien- und Literaturüberblick des Psychologieprofessors Guys Boysen von der McKendree University. Er zitiert mehrere Studien, die zu dem Schluss kommen, dass Traumapatienten von konkreten Warnungen profitieren und in der Folge weniger negative Emotionen und Flashbacks erleben, da sie gezielt Bewältigungsstrategien aktivieren können. Für Betroffene sind Triggerwarnungen also überwiegend hilfreich. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit Schilderungen Betroffener, die in Blogbeiträgen oder Threads ihre eigenen Erfahrungen wiedergeben.
Aber neuere Studien zeigen etwas anderes!
(Ergänzung vom 01.07.2019 & 17.7.2020)
Mittlerweile haben Boysen und seine Mitarbeiter*innen eine weitere Studie publiziert, in der Triggerwarnungen keinen Effekt erzielten: In der Bedingung mit TWs berichteten die Teilnehmer*innen (Studierende mit und ohne traumatische Erlebnisse) im selben Maße über positive oder negative Emotionen wie jene in der Bedingung ohne TWs. Auf Lernverhalten wirkten sich TWs eher positiv aus, dieser Effekt war aber sehr gering und konnte in anderen Studien so nicht gezeigt werden (z.B. bei Bruce & Dawn, die fanden, dass Personen mit Missbrauchserfahrungen, die Triggerwarnungen erhielten, einen Text weniger gut verstanden).
Uneinigkeit und Forschung und Ergebnissen
Nach wie vor ist die Forschungslandschaft in Hinblick auf Triggerwarnungen also gespalten. Einige Studien zeigen eher negative Effekte auf (v.a. von unspezifischen Warnungen bei Nicht-Betroffenen), andere fanden eher positive Effekte (z.B. eine Studie von Gainsburg und Earl an der Universität Michigan). Manche, wie die von Boysen oder auch eine Studie von Sanson und Kolleginnen, fanden keine bzw. nur sehr kleine positive Effekte (z.B. bewerteten vorgewarnte Probanden nachfolgende Filmausschnitte in der Studie von Sanson etwas weniger negativ als solche ohne Warnung). Auch die Replikation der Harvard-Studie zeigte nur geringe bis nicht vorhandene Effekte.
Die aktuelle Forschungslage zu Triggerwarnungen spricht also weder explizit dafür noch explizit dagegen. Bleibt die Frage: Wenn es nicht schadet, aber (nach anekdotischer und klinischer Expertise) möglicherweise hilft – wieso darauf verzichten?
Das betrifft doch nur ein paar Wenige, warum soll ich mir die Mühe machen?
Das stimmt so nicht. Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich von trigger-gesteuerten ungewollten Gedanken oder Flashbacks betroffen sind, lässt sich schwer sagen. Fakt ist, dass vor allem Menschen mit Traumafolgestörung (z.B. posttraumatischer Belastungsstörung) davon betroffen sind, aber auch Menschen mit Angststörung, affektiver Störung (z.B. Depression), Essstörung oder Schizophrenie können an diesen Symptomen leiden.
In Deutschland litten innerhalb der letzten 12 Monate mind. 10 % an einer affektiven Störung, 15 % an einer Angststörung und 2 % an einer posttraumatischen Belastungsstörung (Studie zur Gesundheit in Deutschland, 2014). Auch wenn man diese Prozentsätze schwer aufsummieren kann (wegen der Möglichkeit einer Doppelbelastung durch mehrere Störungen) kann man davon ausgehen, dass rund 10 Millionen Menschen in Deutschland potenziell von Triggerwarnungen profitieren können. Bezieht man die Dunkelziffer ein, sind es vielleicht sogar noch mehr. Wie viele sie davon konkret brauchen oder nutzen möchten, wissen wir natürlich nicht. Aber die Zielgruppe ist zumindest sehr groß. Zum Vergleich: Nur ca. 1,5 Millionen Menschen in den USA leiden an einer Erdnussallergie (in Europa eher noch weniger), trotzdem wird der Inhaltsstoff in der Regel ausgezeichnet.
Triggerwarnungen sind Spoiler!
Nicht notwendigerweise. Eine Triggerwarnung mit dem Vermerkt „Tod“ oder „sexuelle Gewalt“ spezifiziert nicht, in welchem Kontext oder wann dieses Thema zu tragen kommt, nur, dass es prinzipiell vorkommen kann. Abgesehen davon gilt auch hier die Devise: Alles kann, nichts muss. Wer fürchtet, sich mit Triggerwarnungen zu spoilern, kann sie einfach ignorieren.
Betroffene können doch einfach nachfragen, wozu braucht es da Warnungen?
Ganz ehrlich, würdest du einer wildfremden Person anvertrauen wollen, dass du ein psychisches Problem hast, noch dazu eines, das möglicherweise ein persönliches Trauma involviert? Wohl kaum. Die meisten Betroffenen informieren sich ohnehin vorher über potenziell problematische Inhalte, lesen Rezensionen oder Klappentexte – so wie andere Leser*innen auch. Insbesondere dann, wenn sie von sehr spezifischen Triggern betroffen sind. Zu erwarten, dass Betroffene sich selbst vor Autor*innen outen müssen, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls respektlos. Die wenigsten Betroffenen werden einen solchen Weg gehen, d.h. sie werden wohl einfach auf das Buch verzichten. Ein*e Leser*in weniger.
Triggerwarnungen als Bewältigungsmechanismus
Insgesamt zeigt sich also, dass die Debatte um Triggerwarnungen vor allem von Missverständnissen geprägt ist und an vielen Stellen die Bedürfnisse der Betroffenen ausblendet.
Die derzeitige Studienlage ist noch dünn und Forscherteams sind sich ob der Wirkung von Triggerwarnungen noch nicht einig (eine gute Übersicht über die Debatte gibt es auf VICE). Es bleibt auch zu bezweifeln, ob es jemals eine eindeutige Antwort auf die Frage Triggerwarnung ja/nein von wissenschaftlicher Seite aus geben wird, denn die Stellschrauben sind vielfältig (welche Trigger? welches Medium? Welche Zielgruppe? etc.).
Erfahrungen aus der klinischen Praxis legen bisher nahe, dass Triggerwarnungen Betroffenen helfen können, sich besser auf Themen einzustellen und Bewältigungsmechanismen zu aktivieren. Sie müssen also nicht notwendigerweise dazu führen, dass Betroffene Bücher meiden, sondern ermöglichen ihnen eine Entscheidungsoption, die sie ohne Warnung nicht besäßen. Gleichzeitig schärfen sie auch die öffentliche Wahrnehmung problematischer Themen. Dies kann einerseits Vorteile bringen (z.B. Bewusstsein für psychische Erkrankungen schärfen), birgt aber auch potenzielle Nachteile (z.B. dahingehend, dass bestimmte Themen als problematisch oder schwierig eingestuft und gemieden werden).
Kann Spuren von Nüssen enthalten
Ein oft herangezogener Vergleich sind Hinweise auf Allergene auf Nahrungsmitteln: Der Hinweis „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ ist für Menschen mit einer tödlichen Erdnussallergie überlebenswichtig, Menschen mit einer leichten Allergie können in der Folge selbst entscheiden, ob sie das Produkt konsumieren wollen oder nicht, sind aber auf jeden Fall vorgewarnt. Und der Rest kann den Hinweis einfach ignorieren.
Was in Bezug auf Medieninhalte nicht hilft, sind unspezifische Warnhinweise („kann verstörende Szenen enthalten“), da diese den Betroffenen nicht dabei helfen, sich auf konkrete Themen einzustellen, und zugleich unspezifische negative Erwartungen wecken.
Triggerwarnungen normalisieren
Als Psychologin und Fantasy-Autorin möchte ich also dafür plädieren, Trigger- oder Inhaltswarnungen zunehmend zu normalisieren. Sie nehmen niemandem etwas weg und stellen eine wichtige Unterstützung für Betroffene dar. Dabei ist nicht wichtig, dass Triggerwarnungen komplett vollständig sind und sie werden niemals eine psychologische Betreuung oder Aufarbeitung ersetzen. Aber als Autor*innen sind wir in erster Linie das: Schreibende. Kein therapeutisches Personal. Es ist nicht unsere Aufgabe, Personen mit traumatischen Erlebnissen zu konfrontieren oder Vermeidungsverhalten zu sanktionieren. Wir wollen unterhalten – und zwar alle Leser*innen gleichermaßen.
Was spricht also dagegen, eine Leistung anzubieten, die vielen hilft und niemandem schadet? Genau. Gar nichts.
Content Notes zu meinen Romanen
Diese findet ihr auf den jeweiligen Unterseiten meiner Roman-Seiten als ausklappbaren Kasten. Noch besser empfände ich eine Platzierung in den Büchern, aber das war leider nachträglich nicht immer möglich. Erzählt es gerne Interessierten weiter, wenn ihr mögt, oder verlinkt die Seite in euren Rezensionen, damit sich Betroffene informieren können.
Weitere Beiträge zum Thema:
Skepsiswerke: Triggerwarnungen in Büchern
Nela Nequin: Allergenangaben sinnvoll? Die Triggerdebatte
Michelle Janssen: Triggerwarnungen in Büchern
Kia Kahawa: Interview mit Autorin Nora Bendzko über Triggerwarnungen
VICE: Do Trigger warnings actually work?
Frau Schreibseele: Triggerwarnungen in Büchern
Updates zum Text
Zitierte Studien
Bellet, B.W., Jones, P.J., McNally, R.J. (2018). Trigger
warning: Empirical evidence ahead, Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 61. https://doi.org/10.1016/j.jbtep.2018.07.002 (Link zum Preprint, Stand: 17.07.20)
Bellet, B.W., Jones, P. J, Meyersburg, C., Brenneman, M., Morehead, K. (2020). Trigger Warnings and Resilience in College Students: A Preregistered Replication and Extension. Journal of Experimental Psychology Applied. http://dx.doi.org/10.1037/xap0000270 (Link zum Preprint, Stand 17.7.2020)
Boysen, G. (2017). Evidence-Based Answers to Questions About Trigger Warnings for Clinically-Based Distress: A Review for Teachers. Scholarship of Teaching and Learning in Psychology, 3, 162-177. Link zur Studie (Stand: 12.04.2019, nur mit Account bei academia.edu)
Boysen, G. A., Isaacs, R. A., Tretter, L., & Markowski, S. (2019). Trigger warning efficacy: The impact of warnings on affect, attitudes, and learning. Scholarship of Teaching and Learning in Psychology. https://doi.org/10.1037/stl0000150
Bridgland, V., Green, D., Oulton, J. & Takarangi, M. (2019). Expecting the Worst: Investigating the Effects of Trigger Warnings on Reactions to Ambiguously Themed Photos. Journal of Experimental Psychology Applied, 25, doi: 10.1037/xap0000215 (Stand: 24.02.2020)
Bruce, M. & Dawn, R. (2020). Trigger warnings for abuse impact reading comprehension in students with histories of abuse. College Student Journal, 54, 2.
Gainsburg, Izzy & Earl, Allison. (2018). Trigger warnings as an interpersonal emotion-regulation tool: Avoidance, attention, and affect depend on beliefs. Journal of Experimental Social Psychology. 79. 252-263. Link zur Studie (Stand: 01.07.2019)
Jones, P. J., Bellet B.W. & McNally, R. (2020). Helping or Harming? The Effect of Trigger Warnings on Individuals With Trauma Histories. Clincal Psychological Science, https://doi.org/10.1177/2167702620921341 (Link zum Preprint, 17.7.2020)
Jacobi, F. et al. (2014). Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit(DEGS1-MH). Nervenarzt, 85, 77-87. Link zur Studie (Stand 12.04.2019)
Kimble, M., Flack, W., Koide, J., Bennion, K., Brenneman, M. & Meyersburg, C. (2021). Student reactions to traumatic material in literature: Implications for trigger warnings. PLoS One, 16, 3, doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0247579.
Lukianoff, G. & Haidt, J. (2016). How Trigger Warnings
Are Hurting Mental Health on Campus. The Atlantic, Link zur Studie (Stand: 12.04.19)
Sanson, M., Strange, D. & Gary, M. (2019). Trigger Warnings Are Trivially Helpful at Reducing Negative Affect, Intrusive Thoughts, and Avoidance. Clinical Psychological Science, 7 (4), 778-793. doi: 10.1177/2167702619827018
Möchtest du über weitere Blogbeiträge per Mail informiert werden? Hier kannst du dich anmelden:
Hallo Elea,
Ich finde das eine wichtige Debatte, vielen Dank für den Beitrag. 🙂 Bisher wusste ich noch gar nicht, dass diese Diskussion so aktuell ist. Ich kenne diese Warnungen vor allem von Fanfiktions. Eigentlich logisch, dass es dann auch bei richtigen Büchern so sein sollte.
LG, Aurora
Hallo Aurora,
entschuldige, ich habe ganz übersehen, dir zu antworten. Ich bin auch immer wieder überrascht, dass Leser*innen Content Notes oder Triggerwarnungen bei Fanfictions als ganz normal und gängig wahrnehmen, bei Romanen aber als problematisch. Ich sehe da auch keinen großen Unterschied. 🙂
LG Elea
Danke für den interessanten Artikel, in dem soviel Wahrheit steckt. Ich hoffe, da gibt es bald ein Umdenken! Dank deiner Warnungen konnte ich mich jetzt sorgenfrei für Sand&Wind entscheiden und freue mich schon sehr drauf 🙂
LG
Sandra
Hallo Sandra,
vielen Dank für deinen Kommentar – deinen Wunsch für die Zukunft teile ich definitiv. Ich wünsche dir viel Spaß mit „Sand & Wind“! <3
Gerade hat Boysen (der Autor der hier zitierten Übersichtsarbeit) selbst einen Bericht zur Wirkung von Triggerwarnungen vor Inhalten mit sexueller Gewalt oder Suizid veröffentlicht. Wie bei allen anderen Studien auch hatten Triggerwarnungen in drei verschiedenen Experimenten keinen Effekt. Das Fazit der Studie (ziemlich direkte Übersetzung): wie bei vielen Bildungstrends scheint die Bedeutung von Triggerwarnungen überbewertet zu sein. (https://www.researchgate.net/publication/333118504_Trigger_Warning_Efficacy_The_Impact_of_Warnings_on_Affect_Attitudes_and_Learning).
Die Boysen-Übersichtsarbeit ist in diesem Beitrag nicht korrekt dargestellt. Sie wird hier als Beleg dafür bezeichnet, dass Triggerwarnungen sehr wirksam sein können. Die Arbeit führt keine einzige Studie an, die wirklich Triggerwarnungen erforscht hat. Die einzige wirklich belastbare Aussage ist, dass Trigger Intrusionen auslösen können, sodass man ja vor ihnen warnen könnte. Das hat nie jemand bezweifelt, auch die Gegner von Triggerwarnungen nicht. Dagegen werden hier die vielen Studien, die später gemacht wurden und allesamt zeigen, dass Triggerwarnungen nicht funktionieren oder sogar schaden, gar nicht angeführt.
Dieser Text verzerrt auch sonst die Haltung der psychologischen Forschung und klinischer Psychologen zu dem Thema, aber die Diskussion, die ich mit der Autorin dieses Blogs hatte, kann jeder selbst nachlesen: https://twitter.com/keinetheorie/status/1127524745778536448