Der „Mörder im Kleid“ ist ein häufiger Trope in Krimis oder Thrillern. Dieser Beitrag zeigt auf, wieso dieses Motiv nicht nur transfeindliche, sondern auch misogyne und queerfeindliche Elemente enthält.
Der Trope vom „Mörder im Kleid“
Rund 8 Millionen Menschen verfolgen jeden Sonntagabend den Tatort im Ersten. In den sozialen Medien und Feuilletons werden die neuen Folgen oft intensiv kommentiert, so auch der Tatort „Die Amme“ vom 28. März 2021. Ein psychopathischer Serienmörder tötet unter anderem eine Prostituierte und entführt ihren kleinen Sohn. Das Publikum erfährt recht schnell, wer der Täter ist: ein drogenabhängiger Sadist in Frauenkleidern.
Auch J. K. Rowlings Thriller „Troubled Blood“, verfasst unter dem Pseudonym Robert Galbraith1, bedient denselben Trope. Das Ermittlerduo nimmt dort einen älteren Fall erneut unter die Lupe, bei der eine Frau unter ungeklärten Umständen aus einem Pub verschwand. Einer der Verdächtigen ist ein Serienmörder und Vergewaltiger. Mit Perücke und pinkem Mantel gab er sich als Frau aus, u.a. um seine Opfer zu täuschen, aber auch, um sich damit einen sexuellen Kick zu verschaffen. Die problematische Moral beider Plots könnte daher lauten: „Traue niemals einem Mann in einem Kleid.“ Zu diesem Schluss kommt auch eine Rezension von Rowlings Thriller im Daily Telegraph.
Das Kernproblem
Die Kritik am Tatort und an Rowlings Werk stieß in den sozialen Medien auf viel Entrüstung. Das lag zum einen an der Art, mit der manche Personen ihre Abneigung gegen Rowling zum Ausdruck brachten (u.a. Verbrennen ihrer Bücher auf TikTok), zum anderen aber auch an echtem Unverständnis.
Was ist das Problem daran, wenn sich ein Mörder als Frau verkleidet? Warum sollte man so was nicht scheiben dürfen? So was gab es doch schon häufig, in Büchern, in Filmen? Warum ist das transfeindlich, wenn der Täter – laut Handlung – gar nicht trans ist? In diesem Artikel versuche ich, diese Fragen so gut es geht zu beantworten.
I beg to differ
Ein Disclaimer vorweg: Es geht in diesem Artikel nicht ausschließlich um die Darstellung von trans Personen, sondern überwiegend um cis2 männliche Figuren, die Kleidung tragen, welche unsere westlich geprägte, weiße Gesellschaft als weiblich deklariert und wahrnimmt. Die wenigsten dieser Charaktere sind im eigentlichen Sinne trans und könnten auch als gender non-conforming gelten, d.h. als Personen, die sich gängigen Geschlechtervorstellungen bewusst widersetzen.
Dem Publikum wird diese Trennung aber selten klar vermittelt. Authentisch dargestellte trans Charaktere in Film und Fernsehen sind so selten, dass das Mainstream-Publikum damit kaum in Berührung kommt und im Kopf keine Differenzierung vornimmt. Für die meisten Filmemacher*innen spielt Authentizität auch leider keine Rolle. Nach der Ausstrahlung des Tatorts „Die Amme“ verkündete die ARD beispielsweise in einem Statement, der Täter sei nicht trans, man habe ihn mit „Attributen versehen, die von einer Transperson3 (sic) abgrenzen“. Nur, was sind das für Attribute? Was weiß das Publikum – vor allem die typische Tatort-Klientel – über trans Menschen? Die queer-aktivistische Person Freddy Wenner bringt das in einem Tweet sehr gut auf den Punkt:
Eine kurze Begriffsdefinition
Aus diesem Grund möchte ich mit einer Begriffsdefinition starten.
- Trans: bezeichnet Menschen, die sich nicht beziehungsweise nicht nur mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren (Antidiskriminierungsstelle des Bundes). Das Gegenteil davon ist cis. Der Begriff „transsexuell“ ist veraltet und wird von vielen trans Menschen abgelehnt, da er sich im Wortsinn auf Sexualität bezieht, nicht auf Geschlecht. Korrekt ist trans oder transgeschlechtlich.
- Crossdressing: bezeichnet das bewusste Tragen von Kleidung und Accessoires, die typischerweise einem anderen Geschlecht zugeordnet werden. Die Begründung für das Tragen dieser Kleidung spielt dabei keine Rolle. Das kann aus Geschmack geschehen, Modestil, Protest oder Freizeitvergnügen. Crossdressing sagt nichts über Geschlecht oder sexuelle Orientierung aus, d.h. Menschen, die Crossdressing betreiben, sind nicht notwendigerweise Teil der LGBTQIA+ Bewegung, können dies aber sein. Auch trans Menschen können Crossdressing betreiben, indem sie Kleidung tragen, die nur teilweise oder gar nicht ihrem Geschlecht entspricht.
Das Material
Das untersuchte Motiv ist in Filmen und Literatur weit verbreitet. Ein vermeintlich weiblicher Killer stellt sich als trans heraus oder als cis Mann, der als Frau auftritt bzw. Crossdressing betreibt. Der Kanon solcher Figuren ist erschreckend groß. Ich konzentriere mich in diesem Artikel deswegen nur auf ein paar recht bekannte Film-Beispiele.
- Thriller und Krimi: Das Schweigen der Lämmer (1991), Dress to kill (1980), House at the End of the Street (2012)
- Horror und Slasher: Psycho (1960) und Blutiger Sommer (1983)
„Das Schweigen der Lämmer“
In „Das Schweigen der Lämmer“, einer Verfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Harris, tötet der Serienmörder Jame Gumb (aka „Buffalo Bill“) mehrere Frauen, um sich deren Haut anzueignen. Gumb (Ted Levine) leidet an einer „Geschlechtsidentitätsstörung“4 (O-Ton) und versucht durch die Haut der Frauen, selbst zu einer zu werden. Im Roman von Thomas Harris‘ wird Gumb eindeutig als „nicht trans“ beschrieben. Auch Schauspieler Ted Levine gab an, die Figur nicht als trans oder homosexuell angelegt zu haben. Im Film geht diese Konnotation allerdings weitgehend unter. Es gibt zwareinen Dialog zwischen Clarice und Lecter, in dem ebenfalls betont wird, dass Gumb nicht trans sei, differenziert wird das Thema allerdings nicht betrachtet.
„Dressed to kill“
Im Thriller „Dressed to kill“ stellt sich am Ende des Films heraus, dass der Psychiater Robert Elliott (Michael Caine) „transsexuell“ (O-Ton) ist und an einer dissoziativen Identitätsstörung leidet5. In Gestalt seines weiblichen Alter Egos Bobbi (in Frauenkleidern mit Perücke) hat er zuvor mehrere Morde verübt. Der Film stellt dabei eine klare Referenz zu Hitchcocks „Psycho“ dar, in dem der Protagonist Norman Bates ebenfalls eine dissoziative Identitätsstörung aufweist und getrieben von der herrschsüchtigen Persönlichkeit seiner Mutter – auch in deren Kleidern – Morde begeht.
„House at the end of the street“ und „Blutiger Sommer“
In den beiden Filmen „House at the end of the street” und „Blutiger Sommer” begeht ein Jugendlicher Morde bzw. Gewalttaten, nachdem er in seiner Kindheit jahrelang als Mädchen aufgezogen und sozialisiert wurde. In „House at the end of the street” wird Ryan nach dem Tod seiner Schwester von den Eltern gezwungen, deren Platz einzunehmen, und wird mit Drogen und Gewalt ruhiggestellt. Anschließend begeht auch Ryan ähnliche Taten an jungen Frauen und ermordet zudem seine Eltern. In „Blutiger Sommer“ stellt sich das Mädchen Angela, das in einem Sommercamp mehrere Personen tötet, am Ende als ihr Bruder Pete heraus, der angeblich verstorben ist. In Wahrheit ist Angela ums Leben gekommen.
Die Kernaussagen
In diesem Beitrag soll es nicht darum gehen, ob das gute Filme sind oder ob man sie anschauen sollte. Es geht vielmehr um die Analyse von Motiven, deren psychologische Wirkung und einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Wer sich also beschweren möchte, dass hier Medien „tot analysiert“ werden – der hat recht, denn genau das tue ich hier.
Aus den oben genannten Filmbeispielen lassen sich vier Kernmotive rekonstruieren, die ich hier aufarbeiten und in einen Kontext setzen möchte. Diese Motive sind alle inhärent problematisch und mit der Realität nicht vereinbar. Warum, werde ich im weiteren Verlauf erklären.
- Cis Männer, die Frauenkleider tragen oder feminin auftreten, werden als „nicht normal“ dargestellt.
- Cis Männer, die in diesen Filmen Frauenkleider tragen, tun das aufgrund von Gewalt, Traumatisierung oder einem Fetisch.
- Transgeschlechtlichkeit und/oder Crossdressing sind mit psychischer Erkrankung oder sexueller Perversion verknüpft.
- Menschen, die ihre geschlechtliche Repräsentation ändern wollen, erreichen dies nur durch Gewaltakte oder „widernatürliche“ Praktiken. Eine solche Veränderung ist in den dargestellten Medien immer unvollständig, monströs und zerstörend, nie heilend, vervollständigend oder verbessernd.
All diese Darstellungen sind problematisch und dazu geeignet, Vorurteile gegen trans Personen und Crossdressing zu verstärken. Warum möchte ich im Folgenden erklären.
Coming Out als großer Twist
Die genannten Filme haben gemein, dass das Coming Out des Mörders oder die Enthüllung der Genitalien den großen „Schockmoment“ darstellt. Dieser wird dabei gerne voyeuristisch inszeniert. So verklemmt Hollywood-Kino sonst in puncto Genitalien ist, hier wird die Kamera voll draufgehalten.
Das gilt z.B. für den bekannten Filmmoment in „Schweigen der Lämmer“, in dem sich Buffalo Bill nackt vor dem Spiegel präsentiert. Dieser Screenshot ziert sogar die englische Wikipedia-Seite für die Figur Jame Gumb. Auch in „Blutiger Sommer“ fällt die Entlarvung des Killers mit der Enthüllung der Genitalien zusammen. Dies wird von Kritikern sogar als besonders effektvoll gelobt.
Transfeindliche Vorurteile
In der Netflix-Dokumentation „Disclosure“ beschreiben mehrere trans Personen, wie schmerzhaft sich diese Fixierung auf Genitalien für sie anfühlt. Allzu oft werden trans Menschen mit dem Vorurteil konfrontiert, dass sie aufgrund ihrer Genitalien oder anderer körperlicher Eigenschaften keine vollwertige Frau bzw. kein vollwertiger Mann seien. Dabei ist sich auch die Wissenschaft mittlerweile einig, dass das Geschlecht nicht von der Konfiguration der Genitalien abhängt6, sondern von einer komplexen Kombination aus Hormonen, Gehirnchemie und Sozialisation. Jemandes Geschlecht also durch das Enthüllen der Genitalien zu beweisen, ist biologistisch verkürzt und stützt Vorurteile gegen trans Personen. Unter anderem jene Vorurteile, die dazu führen, dass trans Personen der Zugang zu Safe Spaces verwehrt wird (s. die Diskussion um Umkleidekabinen oder Toiletten).
Auch die Art der Inszenierung suggeriert, dass Geschlecht und Genitalien nicht zusammenpassen, was wiederum schockieren soll. Oft wird dieser Effekt durch musikalische und cineastische Effekte verstärkt, auch durch verzerrte Mimik und extreme Reaktionen der Figuren im Film. Vor allem Letzteres soll oft Neurodivergenz oder neurologische Störungen nachahmen, um das Bild von „Geisteskrankheit“ heraufzubeschwören und die Verbindung zwischen psychischen Erkrankungen und Transgeschlechtlichkeit zu zementieren. Über diese ableistische 7 Komponente spreche ich noch einmal detaillierter im Abschnitt „gewaltvolle Pathologisierung“.
Trans panic
Die filmische Inszenierung von Genitalien als Schockmoment stellt zudem eine massive Form des „Othering“ dar. Othering (auf Deutsch „Fremd-machen, Entfremden“) bezeichnet die Distanzierung einer Gruppe, zu der man sich nicht zugehörig fühlt, von der eigenen, indem Unterschiede statt Gemeinsamkeiten betont werden. Othering verdeutlicht, wie „anders“ diese Gruppe ist. Und häufig erhält dieses „anders“ eine negative Konnotation im Sinne von „abweichend“ oder „anormal“. Statt Transgeschlechtlichkeit zu normalisieren, wird es als Schock, als große Enthüllung und außergewöhnlicher Twist inszeniert. Als sei es besonders schockierend, trans zu sein oder Frauenkleider zu tragen.
Dieser Schockmoment („trans panic“) ist kulturell so verankert, dass er in den USA bei Tötungsdelikten sogar als strafmildernd geltend gemacht werden kann. Das heißt: Attackiert jemand eine Person, die sich als trans geoutet hat, kann sich die Verteidigung auf eine Form der Notwehr, Selbstverteidigung oder auf einen mentalen Aussetzer berufen. Eine landesweite Abschaffung dieser Regelung lehnte der US-Kongress 2018 ab.
Feminisierung als Teil des „Bösen“
Auffallend ist, dass diese Schock-Enthüllung nur in eine Richtung zu gehen scheint. Trans Männer sind in den Medien noch unsichtbarer als trans Frauen. Nach meiner Kenntnis gibt es keinen vergleichbaren Horrorfilm oder Thriller, in dem sich eine cis weibliche Person zur Verübung ihrer Gräueltaten als Mann verkleidet. Oder in dem ein Mörder am Ende in Form einer großen Enthüllung als trans Mann offenbar wird.
Das einzige mir bekannte Beispiel, außerhalb der Filmbranche, ist das Horror-Videospiel „Remothered: Tormented Fathers“. Das Spiel nutzt letztlich dieselben Klischees, nur vice versa: Der gewalttätige Dr. Richard Felton wird als cis Mann eingeführt. Im späteren Verlauf stellt sich aber heraus, dass er als Mädchen geboren und unter Zwangsbehandlung als Junge aufgezogen wurde. Daraus resultiert eine dissoziative Identitätsstörung mit zwei verschiedenen Personas: Richard und Jennifer. Die Macher des Spiels nennen, unter anderem, „Psycho“ als Inspiration.
Im Gegensatz dazu hat der „Sissy Villain“ – ein männlicher Bösewicht mit femininen oder queeren Zügen – lange Tradition als TV-Trope. Als Konterpart zum überaus maskulinen Helden spricht der Bösewicht mit hoher Fistelstimme, trägt weiblich kodierte Kleider oder Accessoires, hat einen Hang zu „femininen“ Aktivitäten oder fühlt sich (auch) zu Männern hingezogen. Auch weibliche Bösewichte fallen oft durch extravagantes, exzentrisches Auftreten auf. Beispiele finden sich nicht nur bei Walt Disney, sondern z.B. auch bei James Bond.
Rosa-Helblau-Falle
Weibliche Figuren werden durch das Tragen maskuliner Kleider oder Accessoires oft erhöht (stark, „badass“, unabhängig, eiskalt). Zumindest solange diese Accessoires in weiblich konnotierter Art verwendet werden und die Weiblichkeit für das Publikum sichtbar bleibt.8 Männliche Figuren werden durch feminine Elemente dagegen meist „entfremdet“. Je nach Kontext werden sie dadurch als Witzfiguren, als schwach, verweichlicht oder anormal dargestellt. Im schlimmsten Fall sogar als pervers oder kriminell. Die Doku „Disclosure“ zeigt dieses gesamte Spektrum recht eindrucksvoll auf.
Neben dem bereits aufgezeigten „Othering“ lässt sich hier also auch eine sexistische und queerfeindliche Komponente identifizieren. „Echte Männer“, so die problematische Annahme, tragen keine Stöckelschuhe, Kleider oder sexy Dessous. Tun sie es doch, so kann irgendwas mit ihnen nicht stimmen.
Küchenpsychologie de luxe
In den meisten Fällen genügt dieses unspezifische Vorurteil als Tatmotiv. Während Buffalo Bill noch eine recht komplexe Motivationslage mitbringt, ist bei „Blutiger Sommer“ oder „House at the end of the street“ der Fakt, dass der Täter als Mädchen aufgezogen und dadurch traumatisiert wurde, schon Motivation genug, Menschen zu ermorden. Die Annahme dahinter ist so absurd wie problematisch: Jungen, die als Mädchen sozialisiert werden (oder am Beispiel von „Remothered“ auch vice versa), haben per se einen Hang zu Gewalt. Diese Argumentation drängt nicht nur alle trans Menschen an den Rand der Kriminalität, sondern zementiert obendrein Geschlechterklischees: Kinder müssen gemäß ihrem zugewiesenen Geschlecht aufgezogen werden, sonst werden sie gewalttätig.
Psychologisch ist keine dieser Thesen haltbar. Zwar kursieren immer noch Einzelmeinungen aus der Psychoanalyse, die frühe Traumatisierungen für eine Ursache von Transgeschlechtlichkeit halten, doch Belege gibt es dafür nicht. Dass es traumatisierend sein kann, wenn die Gesellschaft das falsche Geschlecht zuweist, ist sicher unstrittig. Das ist eine Erfahrung, die trans Menschen oft ihr ganzes Leben begleitet. Bislang gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass trans Personen stärker zu Gewalt neigen als cis Personen. Im Umkehrschluss erleben trans und nicht-binäre Menschen häufiger selbst Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung, was mit psychischen Belastungen bis hin zu Suizidgedanken einhergehen kann.
Unspezifische Einzelfälle
Fälle, in denen trans Menschen gravierende Gewalttaten begehen, sind so selten, dass sie nur in Form von Anekdoten existieren und keine systematische Forschung darüber existiert. Die Motive in den bekannten Fällen unterscheiden sich nicht von denen bei cis Personen: Eifersucht, Alkoholeinfluss, Hass, Kontrolle, Psychopathie. Das gilt auch für die wenigen trans Serientäter*innen der Geschichte.
In Großbritannien hat der Fall Karen White für Aufmerksamkeit gesorgt. White, eine trans Frau, wurde 2018 wegen Vergewaltigung an mehreren Frauen innerhalb und außerhalb des Gefängnisses zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Whites Fall wird von transfeindlichen Personen(-gruppen) häufig als Grund angeführt, warum die Verlegung von trans Frauen in Frauengefängnisse gefährlich sei. Häufig wird argumentiert, White sei keine „echte“ trans Frau gewesen, sondern habe sich nur als solche ausgegeben, um an ihre Opfer heranzukommen. Einen Beleg dafür gibt es nicht.
Dem ganzen Fall liegen verschiedene Fehlannahmen zugrunde: Erstens – natürlich können auch trans Menschen Gewalttaten begehen, eine Risikogruppe sind sie allerdings nicht. Zweitens – auch (cis) Frauen begehen (sexuelle) Gewalttaten, an Männern, an Kindern, an anderen Frauen und auch innerhalb des Gefängnisses. Viel seltener als cis Männer, versteht sich, aber es passiert. White ist eine sexuell gewalttätige Frau, vor der andere Gefangene geschützt werden müssen. Welche Genitalien sie hat, sollte keine Rolle spielen – tut es in der Debatte aber leider sehr wohl. Hier treten genau jene Vorurteile zu Tage, die Film und Fernsehen geprägt haben: Wer nicht den normativen Vorstellungen von Geschlecht entspricht, ist besonders gefährlich.
Alles in allem gibt es also keinen kriminologischen Grund für die Überrepräsentation von trans oder crossdressenden Figuren als Kriminelle, Authentizität scheidet als Argument aus. Trans Personen begehen nicht häufiger Straftaten als cis Personen9. Auch die Tatmotive unterscheiden sich nicht. „Crossdressing“ ist zudem kein relevanter Risikofaktor für (sexuelle) Gewalt. Werden trans Personen und/oder Personen, die Crossdressing betreiben, in Thrillern oder Krimis als besonders gefährlich dargestellt, ist das letztlich nur Resultat eines gesellschaftlichen Vorurteils, das reale trans Personen in Lebensgefahr bringen kann.
Gewaltvolle Pathologisierung
Diese Gefährlichkeit wird durch die Zuschreibung psychischer Krankheiten noch verstärkt. Buffalo Bill unterliegt einer wahnhaften Störung (im Roman wird auch erwähnt, dass ihm deswegen geschlechtsangleichende Interventionen verweigert werden) und sowohl Norman Bates als auch Dr. Elliott leiden an einer dissoziativen Identitätsstörung.
Transgeschlechtlich im eigentlichen Sinne ist keine dieser Figuren, trotzdem werden sie mitunter so bezeichnet (z.B. in „Dress to Kill“). Eine Richtigstellung oder Einordnung findet nicht statt. Für Zuschauende ist es also völlig unklar, ob es sich dabei um trans Personen handelt, um (queere) Personen, die sich Geschlechterklischees aktiv widersetzen, um Crossdresser oder um nichts von alledem. Hängen bleibt nur: es sind psychisch kranke Männer, die sich aufgrund ihrer Erkrankung als Frauen „ausgeben“. Ein Vorurteil, das trans Menschen auch im wahren Leben diskriminiert und ihre Geschlechtsidentität auf eine psychische Erkrankung reduziert.
Transfeindliche Diskriminierung
In der Realität gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Transgeschlechtlichkeit in irgendeinem Zusammenhang mit den genannten Störungsbildern steht. Zwar leiden trans Personen häufiger unter Depression, Suizidgedanken oder Essstörungen10, diese sind aber überwiegend auf sozialen Stress, Diskriminierungserfahrungen oder erlebte Stigmatisierung zurückzuführen.11
Die Möglichkeit, dass cis Männer mit dissoziativer Persönlichkeitsstörung auch eine weibliche Persona entwickeln, ist durchaus gegeben, eine erhöhte Neigung zu Gewalt besteht in diesem Fall allerdings nicht.
Crossdressing als sexueller Fetisch
Als weitere Gemeinsamkeit ziehen einige der genannten Figuren – u.a. Jame Gumb und der Serienmörder in JK Rowlings „Troubled Blood“ – sexuelle Erregung aus Crossdressing und nutzen weibliche Kleidungsstücke als sexuellen Fetisch. Sowohl JK Rowling als auch Schauspieler Ted Levine gaben an, diese Darstellung an Jerome Brudos angelegt zu haben. Brudos ermordete in den 1960er Jahren mehrere Frauen und behielt ihre Kleidungsstücke (Schuhe, Unterwäsche) zur eigenen sexuellen Befriedigung. Ähnlich wie Jame Gumb erhielt Brudos bereits in der Jugend die Diagnose einer psychotischen Störung, transgeschlechtlich war Brudos nach Einschätzung einer Therapeutin nicht12.
Es ist auffallend, dass ausgerechnet Brudos hier zweimal als Prototyp des perversen Serienmörders herhielt. Im Gegensatz zu Ted Bundy oder Charles Manson ist Brudos deutlich weniger bekannt und die Taten liegen viele Jahrzehnte zurück. Trotzdem übte dieser Fall offenbar auf Thomas Harris und JK Rowling genug morbide Faszination aus, um zum „Paten“ ihrer Serienmörder zu werden, vermutlich wegen des speziellen Fetischs.
Entfremdung durch Sexualität
Daraus ergeben sich zwei problematische Aspekte. Zum einen dient diese spezielle Form der Sexualität dazu, die Figuren zusätzlich zu entfremden. Sie soll zeigen: „Diese Männer sind nicht normal, sogar pervers.“ Ihre Sexualität ist nicht mit gesellschaftlichen Normen vereinbar und sie gewinnen aus ihren „bösen“ Taten obendrein noch sexuelle Befriedigung. Dabei sind Fetische oder Kinks für sich genommen unproblematisch, sie können Teil eines erfüllten Sexuallebens sein und gleichberechtigt mit anderen Formen sexueller Präferenz existieren.
Trans Personen erleben für gewöhnlich keine sexuelle Erregung durch das Tragen der zu ihrem Geschlecht passenden Kleidung, außer – wie bei cis Personen – bei der direkten Vorbereitung von sexuellen Kontakten. Viele Menschen finden es erregend, sexy Dessous oder aufreizende Kleidung zu tragen, um andere damit anzutörnen, das gilt für cis genau wie für trans Menschen. Mit einem sexuellen Fetisch hat das erst einmal nichts zu tun.
Transition als Bodyhorror …
Die Film-Beispiele haben zudem gemein, dass die Transition, also die Angleichung an das wahre Geschlecht, als etwas Monströses, Brutales und Zerstörendes dargestellt wird. In den meisten Fällen ist es auch gar keine reale Transition, sondern eine gewaltvolle „Umwandlung“13, die durch Dritte forciert wird und nicht dem Geschlecht der Betroffenen entspricht. Die Charaktere werden schon als Kind gezwungen, die Kleidung eines anderen Geschlechts zu tragen, werden eingesperrt, misshandelt, mit Medikamenten oder Drogen traktiert und von der Außenwelt versteckt.
In einer Folge von „Nerd ist ihr Hobby“ sprechen Jasmin und Serina über Body Horror, auch im Kontext von Transgeschlechtlichkeit. Sie legen dar, dass der „Horror“ für viele trans Menschen eher darin besteht, dass sich ihr Köper in der Pubertät in eine unangenehme, falsche Richtung verändert, dass ihr Köper ein Aussehen annimmt, das Dysphorie auslösen kann. Auch Linus Giese berichtet in seinem Buch „Ich bin Linus“ über eine ähnliche Erfahrung.
… statt Transition als Heilung
Die Filmtropes und die reale Erfahrung von trans Menschen hat also durchaus einen gemeinsamen Nenner. Mit einem Geschlecht sozialisiert zu werden, das nicht dem eigenen entspricht, kann eine unangenehme, gewaltvolle Erfahrung darstellen. Zugleich stellen die Filme die Transition aber auch als etwas Unnatürliches dar, nicht als einen Heilungsprozess, der Betroffene stärken und unterstützen kann.
Mittlerweile ist die Transition als Intervention gegen Geschlechtsdysphorie nicht nur medizinisch anerkannt, sondern gilt auch als die erfolgversprechendste Therapie. Dennoch sprechen sich reaktionäre Kräfte nach wie vor gegen die Selbstbestimmung von trans Menschen und ihr Recht auf Transition aus. Auch die negative Darstellung in Film und Literatur kann dazu beitragen, dass sich derartige Fehlannahmen verfestigen, sodass trans Menschen wichtige medizinische Hilfe verwehrt bleibt.
Fazit: Klischeehaft, faul, pauschalisierend
Insgesamt lässt sich also schlussfolgern: Das Bild vom „Mörder im Kleid“ ist ein altes, in vielerlei Hinsicht problematisches Klischee, das sich verschiedener Vorurteile gegen Frauen, queere Menschen und trans Personen bedient.
Selbst wenn man also den Schritt nicht gehen will, dieses Motiv als „transfeindlich“ oder „queerfeindlich“ einzustufen (was man ehrlicherweise sollte, wenn man bedenkt, welche Folgen die gezeigten Bilder für reale trans Menschen haben können), muss man es zumindest als das benennen, was ist es: pauschalisierend, klischeehaft und faul. Es ist immer leichter, sich gängiger Vorurteile zu bedienen und daraus einen Twist zu stricken, als zu recherchieren, sich zu informieren und Figuren als die komplexen Charaktere zu behandeln, die sie sind. Insbesondere dann, wenn Twists auf dem Rücken einer Minderheit ausgetragen werden, die innerhalb der Film- und Literaturbranche bislang wenig Rückhalt genießt.
Unterrepräsentation in den Medien
Denn da sind wir schon beim Knackpunkt. Wären trans Menschen in Filmen und Büchern umfassend repräsentiert, müssten wir diese Debatte vielleicht gar nicht führen. Nur: trans Menschen sind als Figuren und Akteur*innen nach wie vor gravierend unterrepräsentiert. Eine Studie untersuchte insgesamt neun bekannte US-Serien (darunter auch explizit queere Formate wie „Transparent“ oder „The L Word“) und stellten fest, dass transgeschlechtliche Charaktere nur 8 % der gesamten Screentime erhielten14.
In Thriller- oder Krimi-Formaten tauchen trans oder crossdressende Personen überwiegend als Kriminelle oder als – häufig textloses – Mordopfer auf. Im Gegensatz dazu gibt es kaum trans oder nicht-binäre Charaktere, die als Hauptfiguren Mordfälle aufklären oder in Strafsachen ermitteln. Werden trans Personen ausschließlich auf „perverse Kriminelle“ oder „arme Mordopfer“ reduziert, schafft das weder Akzeptanz noch Inklusion15. Es verstärkt vielmehr Vorurteile. Auch das zeigt die Netflix-Dokumentation „Disclosure“ sehr eindrucksvoll.
Positive Beispiele für Repräsentation
Zum Glück gibt es auch positive Beispiele, in denen Geschlechterrollen konstruktiv aufgebrochen oder ad absurdum geführt werden. Und auch gute Repräsentation von Crossdressing, transgeschlechtlichen oder nicht-binären Figuren mit kriminellem Hintergrund, z.B. Sophia Burset aus „Orange is the new Black“ oder die Hauptfiguren der Serie „Pose“. In beiden Formaten verhalten sich die Figuren nicht immer moralisch integer, im Gegenteil, sie lügen, betrügen und begehen Straftaten. Trotzdem werden sie als komplexe, vielschichtige Menschen dargestellt und nicht auf ihre Transgeschlechtlichkeit oder gar ihre Genitalien reduziert.
Solange gut geschriebene trans Figuren aber noch eine Seltenheit in der Literatur- oder Medienlandschaft darstellen, bleibt das Problem einseitiger Repräsentation bestehen. Insbesondere dann, wenn die wenigen trans Figuren in den Mainstream-Medien aus der Feder von cis Personen stammen, während medienschaffende trans Menschen ausgegrenzt werden.
Own-Voice-Perspektiven stärken
Aus dem Grund sollten wir uns auch darum bemühen, kunstschaffende trans Personen zu unterstützen. Die Serie „Pose“ auf Netflix ist ein guter Anfang. Eine hervorragend geschriebene Serie mit tollen Figuren und großartiger Musik, die eindrucksvoll aufzeigt, wie queere Geschichten aussehen können, wenn Betroffene sie selbst erzählen. Wer Spannungsromane schätzt, könnte dagegen einen Blick auf die (bislang nur auf Englisch erschienene) Bobbi-Logan-Reihe der trans Autorin Renée James werfen, die für mehrere Buchpreise nominiert war, vor allem im LGBTQIA+-Bereich. Nicht nur die Autorin ist eine trans Frau, sondern auch ihre Ermittlerin.
Für englischsprachige Phantastik-Fans ist vielleicht die Anthologie „No man of women born“ von Ana Mardoll interessant. Ana, ein trans Mann, erzählt darin klassische Fantasy- und Märchengeschichten mit queeren, nicht-binären und trans Charakteren. Im Magazin Queer*Welten (Nr. 4) ist zudem Tristan Lánstads Kurzgeschichte „Von Angesicht zu Angesicht“ erschienen, die das Thema Transition im metaphorischen Gewand einer Fantasy-Erzählung aufgreift.
Auch karlabyrinth schreibt verschiedene Geschichten mit nicht binären Hauptfiguren, zum Beispiel die Jetzt-Zeit-Novelle „Die Haptik der Wände“ oder die Erotik-Geschichte „Nimm mich in den Arm, aber fass mich dabei nicht an“ . Diese sind frei zugänglich und liegen zum Teil auch als Hörbuchversion zum Download vor.
Weitere Beispiele für trans und nicht-binäre Autor*innen zählt Lena Richter in diesem Beitrag auf.
Nichts darf man mehr?!
Die Diskussion darüber, was man jetzt beim Schreiben noch darf oder ob man bestimmte Filme bzw. Bücher boykottieren sollte, ist letztlich eine müßige Diskussion. Niemand kann JK Rowling verbieten, transfeindliche Klischees in ihren Büchern zu verwenden. Aber wir können über diese Klischees reden, wir können aufklären, warum sie problematisch sind, und als Schreibende können wir es besser machen.
Falls ihr wirklich unbedingt noch eine Story über perverse oder psychisch kranke Mörder in Frauenkleidern schreiben wollt – bitte fragt euch vorher, warum. Welche Botschaft wollt ihr damit senden? Wieso entscheidet ihr euch ausgerechnet für diesen Trope? Und gibt es vielleicht elegantere, weniger diskriminierende Möglichkeiten, eure Idee umzusetzen?
Adé Klischee
Natürlich könnt ihr auch weiterhin an den alten Klischees festhalten (wer sollte es verbieten?), aber ihr müsst auch damit rechnen, dass Menschen das diskriminierend finden, kritisieren und scharf verurteilen. Insbesondere dann, wenn die Gefahr besteht, dass fiktionale Inhalte Einfluss darauf nehmen, wie Menschen im realen Leben über bestimmte Personengruppen denken und wie sie sich ihnen gegenüber verhalten. Genau dieses Risiko bergen die genannten problematischen Tropes.
JK Rowling ist ein gutes Beispiel dafür. „Troubled Blood“ erschien im September 2020, Rowling muss das über 900-Seiten lange Manuskript also schon Monate zuvor geschrieben haben. Vermutlich lange vor ihrem transfeindlichen Essay, in dem sie vor genau dem Phänomen warnt, dass sie in „Troubled Blood“ zum Thema macht: perverse Mörder, die sich als Frauen verkleiden. Die Trennung zwischen Werk und Autorin verschwimmt an dieser Stelle deutlich. Wer also Vorurteilen im wahren Leben entgegentreten will, der muss das auch in Film und Literatur tun.
Oder, um es in bekannteren Worten zu formulieren (irgendwann wird dieser Satz noch mein Signature-Move und Disney wird mich verklagen): Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.
Vielen Dank an Dyn Quing und Tristan Lánstad für das Sensitivity Reading und die wertvollen Anmerkungen!
Dieser Beitrag ist kostenlos. Wenn ihr nach dem Lesen trotzdem etwas zurückgeben oder euch bedanken möchtet, unterstützt doch die beiden mit einer Spende oder dem Kauf ihrer Produkte.
Dyn Quing: Übersicht über Social Media & Support-Möglichkeiten
Tristan Lánstad: Autoren-Website und Twitterprofil
Fußnoten
1. Auch interessant: Ein Mann mit Namen Robert Galbraith Heath war ein Pionier der Konversionstherapie, der versuchte, Homosexuelle mit Elektroschocks zur „heilen“. Rowling zufolge hat das Pseudonym allerdings einen anderen Ursprung, es sei eine Kombination aus ihrem politischen Helden Robert F. Kennedy und einem Fantasienamen ihrer Kindheit, Ella Galbraith.↩
2. Cis oder cisgeschlechtlich = eine Person identifiziert sich mit dem ihr bei Geburt zugewiesenen Geschlecht (Gegenteil: transgeschlechtlich)↩
3. Anmerkung von Dyn Quing: Trans wird zudem als Adjektiv benutzt: „der trans Mann“, „die trans Personen“. Korrekt müsste es also im Statement der ARD „von trans Personen“ heißen.↩
4. Diese Bezeichnung ist veraltet und überholt. Mit Einführung des neuen Diagnosemanuals DSM-5 im Jahr 2013 wurde die „Geschlechtsidentitätsstörung“ als Diagnose abgeschafft, da sie trans Personen unnötig pathologisiert und sie fälschlicherweise als „gestört“ einstuft. Die American Psychological Association (APA) stellt klar, dass trans zu sein keine psychische Erkrankung darstellt, sie kann aber mit einer Geschlechtsdysphorie einhergehen, d.h. mit psychischen Belastungen durch Diskriminierung, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergefühl oder fehlendem Zugang zu notwendigen Ressourcen (Link zur Stellungnahme). Dennoch erleben nicht alle trans Menschen Dysphorie.↩
5. Über die massiv schädliche, falsche und effekthascherische Darstellung von dissoziativer Identitätsstörung in Thrillern sprechen wir vielleicht noch ein andermal. Über Klischees und Mythen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen habe ich in diesem Blogbeitrag bereits geschrieben. ↩
6. Voss, Heinz-Jürgen (2016). Es gibt mehr als zwei Geschlechter. Tagesspiegel, https://www.tagesspiegel.de/wissen/gender-in-der-biologie-es-gibt-mehr-als-zwei-geschlechter/13386730.html↩
7. Ableismus = Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Behinderung. Bei Diskriminierung aufgrund psychischer Erkrankung oder Neurodiversität spricht man auch von Saneismus.↩
8. Frauen, die nach gesellschaftlichem Standard „zu maskulin“ auftreten, werden hingegen oft abgewertet, indem man ihnen ihre Weiblichkeit und/oder ihre Attraktivität abspricht (z.B. Butches, Bodybuilderinnen …).↩
9. In diesem Zusammenhang wird häufig eine schwedische Studie zitiert, die angeblich gefunden haben soll, dass trans Frauen „männliches kriminelles Verhalten“ zeigen. Die Autorin der Studie hat diese Interpretation später dementiert (CN Suizidalität, Transfeindlichkeit, TERFism für den Link). Link zum Interview mit der Autorin.↩
10. Newcomb, M.E., Hill, R., Buehler, K., Ryan, D.T., Whitton, S. D. & Mustanski, B. (2020). High Burden of Mental Health Problems, Substance Use, Violence, and Related Psychosocial Factors in Transgender, Non-Binary, and Gender Diverse Youth and Young Adults. Archives of Sexual Behavior, 49, S. 645–659, Link.↩
11. Valentine, S.E. & Shopherd, J.C. (2018). A systematic review of social stress and mental health among transgender and gender non-conforming people in the United States, Clinical Psychology Review, 66, 24-38 https://doi.org/10.1016/j.cpr.2018.03.003.↩
12. Hier muss man allerdings berücksichtigen, dass diese Einschätzung retrospektiv vorgenommen wurde, noch dazu in einer Zeit, in der viele Vorurteile und Fehlannahmen über trans Menschen vorherrschten, auch in der Medizin. Ob Brudos trans war oder nicht ist letztlich Spekulation (Brudos starb 2006).↩
13. Aus diesem Grund sollte von einer Transition auch nicht als „Geschlechtsumwandlung“ gesprochen werden, sondern höchstens von einer „Angleichung“. Das Geschlecht einer Person wird dabei nicht verändert, die Person gleich ihren Körper lediglich den gesellschaftlichen Vorstellungen ihres wahren Geschlechts an.↩
14. Jamie C. Capuzza & Leland G. Spencer (2017). Regressing, Progressing, or Transgressing on the Small Screen? Transgender Characters on U.S. Scripted Television Series, Communication Quarterly, 65:2, 214-230, https://doi.org/10.1080/01463373.2016.1221438↩
15. Häufig sind die ermordeten trans Personen zudem Sexarbeiter*innen, PoC und/oder drogenabhängig. Der Fokus liegt dabei in der Regel nicht auf der realistischen, authentischen Darstellung der transfeindlichen Gewalt, die viele Betroffene erleben, sondern viel eher auf dem bereits benannten Schockmoment und darauf, die Ermordeten als moralisch fragwürdige Individuen darzustellen (ein Beispiel dafür ist die erste Staffel der Serie „Die Einkreisung“ auf Netflix).↩
Weiterführende Links
„Nerd ist ihr Hobby“: Podcast über Rollenspiel, Queerness und BDSM
Twitter-Thread mit weiteren Beispielen für transfeindliche Tropes in Filmen/Literatur (v.a. Thriller und Krimi)
Logan Ashley: A timeline of transgender horror and an examination of the trans-coded antagonist (and why it matters)
TV Tropes: Creepy Crossdresser und Sissy Villain
Twitter-Thread von Callimry zum Tatort „Die Amme“
Twitter-Thread der Lili-Eibe-Bibliothek zum Tatort „Die Amme“ und generell zur Darstellung von trans Figuren in dt. Krimis
Live-Twitter-Kommentar zum Tatort „Die Amme“ von June T. Michael
Dokumentation „Disclosure“ auf Netflix
Sehr schöne ausführliche Erklärung, danke!
Werd ich mir merken zum eventuellen Verlinken.
Danke für den ausführlichen Artikel, der auch auf Punkte eingeht, die in der erwähnten Netflix-Doku nicht oder nur am Rande erwähnt wurden.
Kürzlich gab es von funk einen, leider recht kurzen, Aufklärungsbeitrag über Queer-Coding z.B. von Disney-Villains, das mir gar nicht so bewusst war. Natürlich meinte dort wer, darauf verweisen zu müssen, dass die Kleidung von Käpt’n Hook doch gar nicht queer sei, sondern typische Kleidung einer bestimmten Epoche. Richtig. Aber besagte Person vergaß dabei zu berücksichtigen, dass der Film in einer Zeit und einer Kultur entstanden ist, in der derlei Kleidung als „lächerlich“ und „unmännlich“ galt. Was ebenso für die vermeintlich übertriebene Angst von Hook vor dem Ticken einer Uhr gilt. Einerseits ist es zwar toll, dass einige diese Angst als nachvollziehbar erkannt haben, andererseits ist es ernüchternd, dass dieselben Leute davon ausgingen, dass das zu der Zeit, als der Film erschien, genauso gesehen wurde.
Da war für mich so gar keine Fähigkeit festzustellen, Aussagen und Darstellungen in ihrem (historischen) Kontext zu betrachten oder die Welt anders als aus der eigenen Perspektive zu betrachten.
Zum Thema trans Frauen und geschützte Räume, die ihnen verwehrt werden, hatte ich neulich eine Diskussion, in der ich versuchte, meine Perspektive als Person mit PTBS einzubringen.
Denn ich weiß, dass wir uns nicht aussuchen können, was uns triggert, wie irrational Trigger und Ängste sein können und wie irrational man selbst reagieren und argumentieren kann, wenn man gerade Angst hat. Und ich gehe davon aus, dass ein Teil derjenigen, die die Angst vor möglichen Übergriffen durch „verkleidete Männer“ als (Pseudo-)Argument anführen, um trans Frauen den Zugang zu Frauenräumen zu verwehren, wirklich Angst haben und zwar so sehr, dass sie nicht in der Lage sind, sich rational mit dem Thema zu beschäftigen.
Dass ein anderer Teil nur Angst schüren will und dabei tief in die Vorurteilskiste greift, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.
Gerade im Bezug auf Frauenhäuser und andere geschützte Räume bräuchte es eine sachliche Auseinandersetzung, die nach einer Lösung sucht, die beiden Seiten gerecht wird. Die die Sicherheit von sicheren Räumen weiter gewährleistet und gleichzeitig auch trans Frauen, die keine Transition wünschen oder noch davor stehen, den Zugang zu diesen Räumen nicht verwehrt.
Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Den historischen Kontext mit zu berücksichtigen finde ich auch immer wichtig. Wir leben nun einmal im Hier und Jetzt und wir schreiben und erzählen für moderne Menschen, dadurch kann es auch wichtig sein, gewisse Darstellungen zu hinterfragen (das mit Hook ist ein gutes Beispiel). Die Darstellung von echter Queerness in allen Facetten war ja historisch ohnehin schwierig, weil oft mit Zensur oder gar Strafen bedroht. Dadurch hat das „Coding“ noch mal eine wesentlich zentralere Bedeutung erhalten.
Ich bin da ganz bei dir, die Diskussion um geschützte Räume ist weit komplexer als sie in den Medien geführt wird (oder geführt werden kann, weil sie oft schon ins Polemische abgleitet, ehe man den Kern überhaupt erreicht hat). Leider entsteht oft der Eindruck, dass vor allem Vorurteile bestimmend sind oder dass vulnerable Gruppen als „Schutzschild“ benutzt werden, um Vorurteile zu legitimieren. Das heißt natürlich nicht, dass diese Gruppen nicht trotzdem existieren können und Schutz verdienen.
Es wäre schön, wenn Medien diesen Diskurs mal ehrlich und authentisch auffangen würden und nicht immer wieder in dieselben (transfeindliche) Klischeekiste griffen.