Don’t bury your gays!

Warum queere Figuren ein Happy End verdienen

Dass Diversität in der Literaturbranche zunehmend eine Rolle spielt, ist zweifellos eine positive Entwicklung. Auf dem internationalen Phantastik-Markt sind queere oder anderweitig marginalisierte Figuren keine Seltenheit mehr. Diese Entwicklung zeigt sich – wenn auch in geringerem Ausmaß – ebenfalls für Romane deutscher Autor*innen. Dennoch gibt es einen unangenehmen Trope, der sich auch in phantastischen Werken hartnäckig hält: „bury your gays“. Was es damit auf sich hat, warum dieser Trope problematisch ist und wie man ihn umgehen kann möchte ich euch in diesem Beitrag näherbringen.

Content Notes
Tod, Queerfeindlichkeit (mit Beispielen), Diskriminierung
Dieser Beitrag beinhaltet Spoiler für einige Filme, Serien und Romane
Supernatural, ES (2017), Game of Thrones, Outlander, The 100, The Vampire Diaries, V wie Vendetta

Was heißt „bury your gays“?

Das TV Tropes Online-Lexikon bietet eine recht gute Zusammenfassung, was man unter „bury your gays“ versteht. Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass queere Figuren überproportional häufig auf dramatische oder grausame Weise ums Leben kommen. Oft sind sie dabei die einzigen Figuren, die sterben, ihr Tod wird besonders spektakulär inszeniert oder ist unmittelbare Folge ihrer Queerness.

Ursprünglich bezog sich dieser Trope vor allem auf homosexuelle oder bisexuelle Figuren. Er lässt sich aber problemlos auf das gesamte queere Spektrum erweitern.

Einige Beispiele hierzu aus dem Phantastik-Genre:

Achtung, enthält Spoiler

Outlander (Film und Buchreihe): Bis zum Auftauchen John Greys ist der Bösewicht John Randall die einzige queere Figur. Er stirbt in der Schlacht.

V wie Vendetta (Film): Die lesbische Valerie, ihre Geliebte und der schwule Gordon werden alle von Schergen der totalitären Regierung getötet.

Supernatural: Nachdem Castiel Dean seine Liebe gesteht, stirbt er unmittelbar.

The Vampire Diaries: Alle vier queeren Figuren der Serie werden getötet.

ES (2017): Zwischen Richie und Eddie deutet sich eine romantische Anziehung an – am Ende ist Eddie die einzige Hauptfigur, die im Kampf gegen ES ums Leben kommt.

Game of Thrones (Serie & z.T. Buchreihe): Loras Tyrell und Renly Baratheon, die einzigen offen schwulen Männer, kommen beide um, ebenso der bisexuelle Oberyn Martell. Yara (bzw. Ascha) Graufreud überlebt hingegen, sie wird in der Serie als lesbisch/bisexuell dargestellt (aber nicht in den Büchern).

Die Journalistin Caroline Framke hat für Vox eine Grafik der Serientoten aus den Jahren 2015 und 2016 erstellt und stellte fest, dass 13 % der Toten queere Figuren waren, obwohl diese nur etwa 5 % aller Serienfiguren ausmachen (nach einer Studie der Organisation GLAAD). Queere Figuren sterben also überproportional häufig. Aber woran liegt das?

Am Anfang war Dorian Gray

Der „bury your gays“-Trope hat eine lange Geschichte und taucht zum ersten Mal am Ende des 19. Jahrhunderts auf. Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass queere Autor*innen dieses Stilmittel nutzten, um über queere Figuren schreiben zu können, ohne sich dadurch strafbar zu machen.

In Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ wird z.B. ein romantisches Interesse des Malers Basil an Dorian angedeutet und beide kommen im Verlauf der Geschichte tragisch ums Leben. Möglicherweise konnte Wilde auf diese Weise Homosexualität thematisieren, ohne sich moralisch zu weit aus dem Fenster zu lehnen oder gar eine Anzeige zu riskieren. Selbst viele Jahre nach dem viktorianischen Zeitalter wurden Theater- und Filmemacher*innen durch moralische Korsetts und Zensur (z.B. den Hayes Code) gezwungen, queere Themen auszuklammern oder auf tragische bzw. humoristische Elemente zu beschränken. 1

Heutzutage ist es nicht mehr nötig, queeren Figuren ein tragisches Ende zu verpassen. Und trotzdem passiert es immer wieder. Seit 2016 zeigt sich sogar ein Anstieg sterbender queerer Figuren in populären Medien. Hierzu gibt es verschiedene Erklärungsansätze.

Foto des jungen Oscar Wilde, der in einem Sessel sitzt und nachdenklich in die Ferne blickt, in der Hand einen Notizblock
Der Trope „Bury your gays“ findet sich bereits bei Oscar Wilde, z.B. im „Bildnis des Dorian Gray“ (Bild von 1882, Pixabay)

Queerness als „Perversion“

Bis 1974 war Homosexualität offiziell als psychische Erkrankung stigmatisiert. Transgeschlechtlichkeit wurde erst im vergangenen Jahr aus dem psychiatrischen Diagnosemanual gestrichen (und das deutsche Transsexuellengesetz ist nach wie vor grausig veraltet). Daraus speist sich bis heute das Vorurteil, Queerness sei mit Perversion oder Devianz assoziiert.

Zahlreiche Antagonist*innen besitzen queere Züge, während queere Held*innen unterrepräsentiert sind. Ein prominentes Beispiel für queer kodierte2 Bösewichte ist Walt Disney: Die Meerhexe Ursula basiert optisch auf der Dragqueen Divine und auch Dschafar, Hades oder Scar weisen effeminierte Züge auf (siehe auch: Sissy Villain). Queere oder auch nur queer kodierte Held*innen gab es bei den klassischen Disney-Filmen dagegen bislang keine.

Der Trope des „queeren Bösewichts“ findet sich aber nicht nur bei Disney. Queerness tritt oft in Verbindung mit sexueller Devianz auf (z.B. John Randall in „Outlander“) oder als Indikator für einen besonders ausschweifenden, anstößigen Lebensstil (z.B. der türkische Bey in der Verfilmung von „Lawrence von Arabien“)3. Beides sind Relikte einer jahrhundertelangen Diskriminierung, die gerade bei historischen Stoffen oft unreflektiert übernommen wird.

Da viele Geschichten mit dem Tod des Bösewichts enden, bedienen queere Antagonist*innen mehr oder weniger automatisch den „bury your gays“-Trope. Insbesondere dann, wenn die „good guys“ allesamt überleben und nicht queer sind. Hier kommen zwei unangenehme Tropes zusammen: Die queere Figur ist nicht nur böse, sondern obendrein am Ende tot.

Queerness als Quelle von Leid und Tragik

Noch sehr viel häufiger als in der Rolle des Bösewichts sieht man queere Menschen allerdings in der Rolle der tragischen Figur. Sie leiden unter Diskriminierung und Unterdrückung, werden vielleicht sogar mit dem Tod bedroht, und all das kulminiert am Ende in ihrem dramatischen Ableben (häufig durch Mord oder Hinrichtung). Ihre Charaktergeschichte und –entwicklung ist primär durch Leid definiert und es gibt häufig keinen entsprechenden Gegenpart. Kurzum: Queer zu sein, heißt, zu leiden.

In besonders expliziten Fällen ist das Ableben der queeren Figur sogar direkt an ihre romantische Beziehung oder ihr Coming Out geknüpft.

Beispiele (Spoiler)
In „Supernatural“ stirbt der Engel Castiel zum Beispiel unmittelbar nachdem er Dean seine Liebe gestanden hat. und in „The 100“ kommt die lesbische Lexa um, kurz nachdem sie Sex mit ihrer Freundin hatte.

Während cis hetero Paare in der Phantastik in der Regel zueinander finden und glücklich werden, ist ein Happy End für queere Figuren häufig nicht vorgesehen. Entweder, weil die einzige queere Figur stirbt, weil sie ihre*n Partner*in verliert oder weil ihre Liebe nicht erwidert wird.

Beispiele (Spoiler)
In „ES“ (2017) beispielsweise finden Bev und Ben am Ende des zweiten Films zueinander, während Eddie, für den Richie romantische Gefühle hat, als Einziger ums Leben kommt4. Und auch in „Outlander“ werden Claire und Jamie miteinander glücklich, John Grey bleibt hingegen mit seiner unerfüllten Liebe zu Jamie allein5 (und Randall stirbt als Bösewicht).

Intersektionale Perspektive

Das Problem wird noch breiter, wenn man es intersektional betrachtet. Queere Menschen können auch mehrfachmarginalisiert sein, wenn sie zum Beispiel zudem Rassismus erleben, neurodivers oder behindert sind. Sie können auch verschiedene Formen von Queerness in sich vereinen, z.B. als schwuler trans Mann oder asexuelle nicht binäre Person. Je mehr Marginalisierungserfahrungen zusammenkommen, desto größer die Gefahr, dass die Figur primär als Leidensträger*in fungiert. Dabei haben gerade mehrfachmarginalisierte Menschen ein hohes Bedürfnis nach positiven, optimistischen Geschichten, da sie im echten Leben sehr häufig mit Feindseligkeit und Diskriminierung zu kämpfen haben.

Zwei Frauen im Partnerlook stehen aneinander gelehnt mit dem Rücken zum Betrachter und breiten glücklich die Arme aus.
Auch queere Paare wünschen sich ein Happy End

Wo ist das Problem?

Die Problematik des „bury your gays“-Trope hat sich also im Laufe der der Zeit gewandelt: Vor 150 Jahren bot er Autor*innen eine Chance, queere Themen trotz Verboten und sozialer Stigmata zu behandeln. Danach wurde er zum Ausdruck der Zensur queerer Inhalte in Mainstream-Medien. Heute, jenseits dieser Schranken, birgt der Trope immer noch das Risiko, queere Identität unsichtbar zu machen oder auf Leid und Schmerz zu reduzieren.

Positive Repräsentation ist gerade für queere Menschen unheimlich wichtig. Auf der Suche nach der eigenen Identität, dem eigenen Label oder der Zugehörigkeit zu einer Gruppe spielt Literatur eine wichtige Rolle. Im Essayband „Invisible“ beschreiben zum Beispiel marginalisierte Autor*innen, wie bedeutend es für sie war, Figuren zu finden, mit denen sie sich identifizieren konnten. Auch die Bloggerin Rike Random hat einige sehr eindrucksvolle Zeilen dazu geschrieben, was queere Repräsentation für sie bedeutet.

Anhand dessen lässt sich nachempfinden, wie schmerzhaft es für queere Menschen sein kann, sich stets nur in leidenden oder sterbenden Figuren wiederzufinden. In Figuren, die kein Happy End bekommen und überwiegend durch die qualvollen Erfahrungen ihres Lebens definiert sind. Natürlich mag das für manche Menschen die grausame Realität darstellen, doch auch queere Menschen verdienen die Chance auf Eskapismus, auf ein Happy End und auf positive Identifikationsfiguren. Niemand will sich stets nur in der Rolle des Leidenden und Sterbenden sehen – gerade für Jugendliche oder Menschen in der Findungsphase kann diese Konfrontation negative emotionale Folgen haben.

Bury your gays und Queerfeindlichkeit

Die Reduktion von Queerness auf Leid ist letztlich auch eine Form (unbewusster) Queerfeindlichkeit, verpackt in literarisches Gewand. Die Bloggerin und Historikerin Kat hat die Problematik in einem Essay auf Zeitfäden sehr treffend zusammengefasst:

Am Ende sind diese Tropes ein Ausdruck unserer cis- und heteronormativen Gesellschaft, die sich bis heute nicht vorstellen kann, dass jemand, der von ihren Idealen abweicht, ernsthaft glücklich werden kann. Und so sind die Tropes eben auch queerfeindliche Gewalt: Sie unterstützen das ungleiche Machtgefüge zwischen cis, hetero Menschen und queeren Menschen, denn wo LGBTQ sein als Leid bringend und schamvoll dargestellt wird, werden cis, hetero Held_innen in denselben Romanen oft glücklich und erreichen ihre Ziele.Zeitfäden

Ganz abgesehen davon gibt es auch noch einen recht banalen Grund, auf den Trope zu verzichten: Er ist ausgelutscht und fad. Viel origineller als sterbende oder leidende queere Menschen sind positive Geschichten über Queerness, Zusammenhalt und queere Liebe (in all ihren romantischen und platonischen Formen). Davon gibt es nämlich immer noch zu wenig.

Was darf ich denn jetzt noch?

Was ist nun die Message für Autor*innen? Heißt das, queere Figuren dürfen nicht mehr sterben? Müssen sie immer ein Happy End haben? Darf man nicht mehr über Diskriminierung schreiben? Ist das dann nicht langweilig?

Nein, das ist nicht die Message. Ganz abgesehen davon, dass euch ohnehin niemand etwas verbieten kann (wie auch?), macht, wie so oft, die Dosis das Gift. Ich möchte euch daher ein paar Ideen auf den Weg geben, wie ihr dem „bury your gays“-Trope entkommen und positivere Repräsentation für queere Figuren schaffen könnt.

1. Warum ausgerechnet ich?

Wieso ist es ausgerechnet die queere Person, die am Ende tragisch stirbt? Was ist die Idee dahinter? Warum sie und keine andere? Was ist/war die Funktion dieser Figur innerhalb der Handlung? Schon diese simplen Fragen können helfen, problematische Tropes zu identifizieren. Existiert eine queere Figur nur, um in Form eines dramatischen Schockeffekts zu sterben, und hat sie keinen anderen Zweck innerhalb der Handlung (und auch keine eigene Charakterentwicklung), würde ich dieses Stilelement überdenken.

Reflexion ist generell das wichtigste Werkzeug, wenn es um Diversität und Repräsentation geht. Es macht einen großen Unterschied, ob Klischees oder problematische Tropes bewusst eingesetzt werden oder unbeabsichtigt in den Text fließen. In diesem Prozess können nicht nur versierte Kolleg*innen helfen, sondern auch Sensitivity Reader, die Texte auf problematische Darstellungen hin analysieren.

Alternativ gibt es zum Beispiel auch den Vito Russo Test, der helfen soll, gute Repräsentation queerer Figuren zu erreichen. Solche Tests sind sicher nicht das Nonplusultra, aber ein guter Anhaltspunkt.

2. Mehr Queerness wagen

„Bury your gays“ ist vor allem dann unangenehm, wenn die Geschichte nur eine einzige queere Figur beinhaltet und diese tragisch stirbt (oder mehrere, die alle sterben). Gibt es dagegen einen diversen Cast mit verschiedenen sexuellen Orientierungen, Geschlechtsidentitäten, Hautfarben, Altersgruppen usw. sieht die Sache schon ganz anders aus. Wenn innerhalb einer Geschichte positive, negative, schöne und tragische Momente für alle Figuren existieren, entsteht am Ende auch das stimmigste Gesamtbild.

Ihr empfindet viele queere Figuren als unrealistisch? Nicht nötig. Über alle Zeiten hinweg haben queere Menschen Wege gefunden, sich untereinander zu vernetzen und Kontakte aufzubauen. Abgesehen davon: Autor*innen schmieden in der Phantastik ihre eigenen Regeln. Warum sollten queere Menschen in einer Welt, in der es Drachen, Zwerge und Magie gibt (oder Raumschiffe, Aliens und Warp-Antrieb), unrealistisch sein? Warum sollten Phantastik-Welten überhaupt heteronormative Gesellschaftsmodelle übernehmen? Wir können diese Grenzen hinter uns lassen (s. dazu auch Alex‘ Reihe über Dekolonialisierung der Phantastik).

Im übrigen umfasst Queerness deutlich mehr als homo- oder bisexuelle Menschen. Auch Asexualität, Intersexualität, Transgeschlechtlichkeit usw. sind Facetten des queeren Regenbogens.

Falls es uns irgendwann gelingt, dass auch queere Menschen die volle Bandbreite an Rollen in Film und Literatur innehaben, müssen wir uns auch über „Bury your gays“ keine Gedanken mehr machen. Dieser Tag ist aber leider noch fern.

3. Komplexität statt Klischee

Die Welt ist komplex. Das Leben als queerer Mensch ist bisweilen auch von Leid oder Diskriminierung geprägt, das ist aber bei weitem nicht alles. Das Leben bietet Höhen und Tiefen, für alle.

Die Netflix-Serie „Pose“ zeigt sehr zum Beispiel sehr eindrucksvoll, dass sich queere Geschichten über Tragik und Schmerz und solche über Liebe und Optimismus nicht ausschließen. Die Protagonist*innen der Serie, überwiegend trans Frauen oder schwule Männer, erleben immer wieder Ausgrenzung, Gewalt oder Verlust. Und trotzdem ist „Pose“ vor allem eine Geschichte über Zusammenhalt, Solidarität, Liebe und Freundschaft. Negative Erlebnisse kontrastieren mit positiven Erfahrungen und die Serie gönnt den Figuren immer wieder schöne gemeinsame Momente.

Oft erscheint es einfacher, die Welt schwarz/weiß zu malen, doch als Autor*innen wissen wir, dass es auf die Graustufen ankommt, auf das „dazwischen“, auf die Untertöne. Blickt man von außen auf eine Gruppe, der man selbst nicht angehört, tendiert man dazu, vor allem die Unterschiede und Abweichungen wahrzunehmen. Bei queeren Figuren besteht also das Risiko, sie primär über das zu definieren, was sie vermeintlich von anderen Menschen unterscheidet: ihre Queerness und die damit einhergehenden Probleme. Dabei gibt es so viel mehr, das sich zu erzählen lohnt. Menschen sind schließlich komplexe Individuen, keine Abziehbilder.

Es ist daher immer eine gute Idee, queere Figuren mit denselben Augen zu betrachten wie die klassischen nicht-queeren Held*innen. Sie können dasselbe erreichen, dieselben Wünsche und Ziele haben, dieselben Konflikte durchleben und dieselben glücklichen Momente teilen.

Aufklärung können zum Beispiel Own-Voice-Stimmen schaffen, Menschen, die aus ihrer eigenen Erfahrung erzählen. „Pose“ ist ein sehr gutes Beispiel für queere Own-Voice-Produktionen, aber auch in der Phantastik und der Literatur gibt es zunehmend mehr queere Autor*innen, die Leser*innen an ihrem eigenen Erfahrungsschatz teilhaben lassen. Diese wichtigen Beiträge sollten auf jeden Fall unterstützt werden.

4. Queere Geschichte aufarbeiten

„Das war aber so“ ist ein häufiges Argument im Kontext historischer Fiktion, gerade, wenn es um marginalisierte Gruppen geht. Ja, natürlich hat sich queeres Leben im Laufe der Geschichte verändert. Natürlich wurden queere Menschen lange unterdrückt, gejagt und misshandelt. Dennoch hat queere Geschichte sehr viel mehr zu bieten als Geschichten von Leid und Qual.

Als Autor*innen entscheiden wir selbst, welche Art von Geschichte wir erzählen wollen. Kat hat in ihrem Essay einen hervorragenden Leitfaden zusammengestellt, an dem man sich orientieren kann, wenn man historische queere Figuren schreibt.

In der Phantastik sind die Möglichkeiten noch größer. Es gibt keine Notwendigkeit, sich sklavisch an vermeintlich historische Gegebenheiten zu klammern. Die Phantastik hat die Freiheit, über bestehende Grenzen und gesellschaftliche Konventionen hinaus zu denken, und es wäre schade, das nicht zu nutzen.

Fazit: Don’t bury your gays

Der „bury your gays“-Trope hat seinen Ursprung in einer Zeit, in der Menschen nicht frei und offen über (ihre) Queerness schreiben konnten. Heute hat er diesen Zweck verwirkt. Dass queere Figuren in phantastischen Romanen, Filmen oder Serien immer noch überproportional häufig sterben oder über ihr Leid definiert werden, ist primär Stereotypen geschuldet.

Als Autor*innen können wir diese aufbrechen und neue Geschichten erzählen, die positive Repräsentation und Identifikationsmöglichkeiten für queere Menschen schaffen. Das heißt nicht, dass negative Themen keinen Platz mehr haben können. Sie sollten nur sinnvoll dosiert und reflektiert eingesetzt werden. So entsteht am Ende bessere, spannende und vielfältigere Literatur für alle.


Fußnoten

1.Wie sich der Hayes Code auf die Darstellung von Homosexualität in Mainstream-Medien auswirkte, beschreibt Vito Russo in seinem Buch „The celluloid closet“. Der Hayes Code sah vor, dass Figuren auf der Leinwand für „unmoralisches Verhalten“ bestraft werden mussten. Dazu zählten nicht nur Verbrechen, sondern auch Homosexualität oder andere Formen von Queerness. Auch wenn der Hayes Code 1967 abgeschafft wurde, hat er das Kino und dessen Inhalte massiv geprägt, auch noch viele Jahre später. Danke an Alex für den Hinweis.

2. Queer kodiert heißt in diesem Fall, dass die Figuren nicht explizit als queer geoutet werden, ihre Darstellung aber überzogene queere Stereotype bedient (z.B. hohe Stimme, affektierte Gestik, opulente Kleidung etc.).

3. Die Szene bezieht sich auf ein Kapitel aus Lawrence‘ Autobiographie, die Authentizität der Darstellung ist aber umstritten. Historiker nehmen an, dass Lawrence viele Passagen erfunden hat. Möglicherweise auch diese. Dass Lawrence selbst homosexuell war, thematisiert die Verfilmung nicht. Quelle.

4. Dieses queere Element gibt es übrigens nur in der 2017er Verfilmung, nicht im Buch.

5. Diana Gabaldon hat John Grey ab 1998 eine eigene Romanreihe gewidmet. Leider konnte ich auf die Schnelle nicht rausfinden, ob ihm zumindest da eine glückliche Beziehung gegönnt wird.

Weitere Quellen und Artikel zum Thema

Brandenburg, Aurelia (2020). Es gibt keine „historische Korrektheit“ von Popkultur, Geekgeflüster, abgerufen unter: https://geekgefluester.de/es-gibt-keine-historische-korrektheit-von-popkultur (Stand 9.12.2020).

Hulan, Haley (2017). Bury Your Gays: History, Usage, and Context. McNair Scholars Journal, 21, 1, Article 6, abgerufen unter: https://scholarworks.gvsu.edu/mcnair/vol21/iss1/6, Stand 9.12.2020.

Katlin (2018). Damals war oft anders: “Historisch korrekt” ist kein Argument, Zeitfäden, abgerufen unter: https://zeitfaeden.de/2018/12/30/damals-war-oft-anders-historisch-korrekt-ist-kein-argument, Stand 09.12.2020.

Hines, Jim C. (Hrsg., 2014). Invisible: Personal Essays on Representation in SF/F, No. 1, ISBN- 9781310872624 .

Zeichnerin, Amalia (2020). Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen, in: Diversity in der Literatur (Essayband), abgerufen unter: http://amalia-zeichnerin.net/die-welt-ist-gemein-zu-marginalisierten-menschen/, Stand 09.12.2020.

5 Gedanken zu „Don’t bury your gays!

  1. Hi! Erstmal: Ein schöner Artikel und danke für’s Zitieren.

    Ich würde allerdings den Dorian Gray nicht als Ursprung oder auch nur als Beispiel für das Trope verwenden, schon allein, weil es eine der seltenen Own-Voices-Geschichten aus der Epoche ist, die tatsächlich on page queere Figuren einbindet (besonders in der unbearbeiteten Fassung) und das dem ganzen einen ganz anderen Kontext gibt, sondern auch, weil Basils Ermordung eins von vielen, vielen gesellschaftskritischen Symbolen des Romans ist und somit an sich kein Beispiel für das Trope.

    Anderer Punkt: Die Lord-John-Reihe von Diana Gabaldon ist mMn eine der besten historischen Reihen, was LGBTQ-Repräsentation angeht. Ich habe die alle gelesen und ohne zu spoilern, John ist eine tolle Figur und trifft ein paar andere tolle queere Figuren.

    Alles Liebe

    Kat

    1. Hallo Kat, vielen Dank für deinen Kommentar. Den Bezug zu Wilde und Dorian Gray hatte ich in einem Paper zu dem Thema gefunden. Ich fand den Gedanken spannend, dass der Trope auch aus einem Stilmittel entstanden ist, das gar keinen explizit queerfeindlichen Hintergrund hatte (sondern eher den Gedanken von Selbstschutz). Ich sehe aber deinen Punkt, dass es problematisch rüberkommen kann, das eine mit dem anderen gleichzusetzen. Ich sehe mal zu, ob ich das noch besser formuliert kriege.

      Das mit John Grey freut mich total! Ich hab mich an die Bücher nie rangetraut, weil der Umgang mit Queerness in der „Outlander“-Reihe so messy war, aber schön zu hören, dass es in der Reihe so viel besser wurde. Vielleicht sollte ich die doch noch mal lesen. 😀

  2. Ich kann nur sagen: Bravo, Bravo, Bravo
    Sehr guter Artikel.
    Ich hab in meinem Buch nur an der Gay Szene geschrammt, weil es thematisch dann doch um was anderes ging – but I love my Gays and Queers <3 (and my Cises)

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