„Fürchtet euch sehr!“

Was macht guten Horror aus?

Dies ist ein Beitrag zur #geekquest2017

Blairwitch Project – der perfekte Horror?

Mit 15 Jahren (oder 14?) sah ich zum ersten Mal „Blairwitch Project“ und habe mich zu Tode gefürchtet. Eigentlich bin ich hart im Nehmen was Horror angeht, aber dieser Film hat mich nachhaltig verfolgt. Story und Umsetzung sind denkbar simpel: Eine Gruppe Studierende macht sich auf, um in den Wäldern von Maryland eine Reportage über die Hexe von Blair zu drehen. Doch trotz intensiver Vorbereitung verirren sich die Freunde in den Wäldern, einer ihrer Begleiter ist plötzlich spurlos verschwunden und bald müssen sie feststellen: sie sind nicht allein.

Heute, mehr als 12 Jahre später, finde ich den Film immer noch verdammt unheimlich. Warum eigentlich? Was macht diesen Film so gruselig? Ich habe mal die für mich persönlich bedeutendsten Punkte herausgegriffen und mir überlegt, was ich als Autorin davon lernen kann. Da ich kein Filmwissenschaftler bin, kann ich nicht explizit auf Aspekte der Darstellung oder Kameraführung eingehen, sondern bleibe bei den offensichtlichen dramaturgischen Stilmitteln.

1. Pack sie an den Urängsten

Ich denke, „Blairwitch Project“  hat mich genau erwischt, wo es wehtut: an meinen Urängsten. Der Begriff der „Urangst“ stammt aus der Psychoanalyse und beschreibt nach Sigmund Freud alle aus dem „Geburtstrauma“ resultierenden Ängste des Menschen. Spätere Definitionen gehen etwas weiter und bezeichnen Urangst allgemein als Angst um die körperliche bzw. seelische Gesundheit. Als das Gefühl von Hilflosigkeit in einer feindseligen Welt oder als kollektiven Angstzustand vor einem bestimmten Reiz, den eine größere Gruppe von Menschen übereinstimmend teilt.

Bei einem Orientierungs- und Survival-Noob wie mir löst schon allein die Vorstellung, in einem undurchdringlichen Wald verloren zu gehen, eine regelrechte Panikreaktion aus.  Und das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Viele Horror-Filme, vor allem psychologischer Horror, schlagen in diese Kerbe, bedienen Ängste, die in einer Art unterbewusstem Kollektiv verankert sind. Die Angst vor der Dunkelheit, die Angst vor Einsamkeit, die Angst vor dem sprichwörtlichen Monster unter dem Bett. Natürlich sind das althergebrachte Motive, aber nichtsdestotrotz funktionieren sie. Bestimmt wirken sie nicht bei allen gleich – erfahrene Pfadfinder sind von der „orientierungslos im Wald“-Nummer vielleicht weniger abgeschreckt –, aber die meisten Menschen fühlen sich davon angesprochen.

Darf man sich auch als Autor*in solcher Tropen bedienen? Natürlich. Stephen King spricht in seinen Romanen regelmäßig klassische Urängste an. Sei es die Angst, sich zu verirren („Das Mädchen“), die Angst, Angehörige zu verlieren („Friedhof der Kuscheltiere“) oder die Angst vor dem sprichwörtlichen Monster („Es“).

2. Nutze das Unerklärliche

„Die älteste und stärkste Form der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten.“
– H. P. Lovecraft

Besser als mit diesem Zitat könnte man Lovecrafts Lebenswerk nicht zusammenfassen. Mit seinem Cthulhu-Mythos spricht er genau diese Angst an. Die Angst vor Dingen, die wir nicht verstehen, die wir nicht begreifen, die wir noch nicht einmal erfassen können. Das große, namenlose Grauen, das im Verborgenen lauert. Auch „Blairwitch Project“ arbeitet mit dieser grundlegenden Angst vor dem Unfassbaren. Was den Studierenden in den Wäldern zustößt, bleibt bis zum Ende des Films unbegreiflich und lässt sich mit rationalem Menschenverstand nicht erklären. Daraus resultiert der Schrecken.

Gerade in unserer von Wissenschaft durchdrungenen Gesellschaft lösen Geistererscheinungen, Alien-Sichtungen oder unerklärliche Phänomene Beklemmung aus. Meine persönlichen Highlights sind dabei übrigens die Ereignisse am Djatlow-Pass und der Somerton-Man. Falls ihr die Geschichten nicht kennt, lest euch die Seiten durch und sagt mir dann, dass ihr das nicht unheimlich findet.

3. Nutze die Vorstellungskraft

Viele Horrorfilme haben für mich in dem Moment verloren, in dem das Monster vor die Kamera springt. Selbst wenn Maske und CGI-Effekte das Grauen effektiv auf die Leinwand bannen können, wird keine von Hollywood bildlich dargestellte Kreatur jemals den Schrecken aufwiegen können, den wir uns im Kopf zusammenreimen. Das ist der große Vorteil von Horror-Literatur: Hier wird das Grauen weitgehend der Fantasie der Leser*innen überlassen. Gänsehaut garantiert. Auch bei den Kurzgeschichten von Altmeister H.P. Lovecraft haben – in meinen Augen – diejenigen die größte Wucht, die nicht versuchen, das Grauen in Worte zu kleiden, sondern die, denen es gelingt, den Schrecken plastisch zu zeigen. Dasselbe gilt auch für Horror-Filme. Je weniger explizit, desto stärker ist ihre Wirkung.

Auch hier macht „Blairwitch Project“ alles richtig. Das „Monster“, die Hexe von Blair, wird an keiner Stelle tatsächlich gezeigt. Alles, was wir erleben, ist die Panik der Studierenden, die Angst, die Beklemmung. Und die subtilen Anzeichen, dass irgendetwas in diesem Wald lauert: Fußspuren, rituelle Symbole und nächtliche Geräusche. Kein Splatter, kein Blut, keine Jump Scares. Einfach nur subtiler Horror.

Natürlich kann auch blutiger Splatter seinen Reiz haben, aber wirklich gruseln tue ich mich dabei selten. Im Übrigen können auch sichtbare Monster Horror auslösen, wenn die Atmosphäre stimmt und wenn sich der Film nicht darauf verlässt, dass allein der Anblick der Kreatur den Zuschauer in Panik verfallen lässt. Gute Beispiele dafür sind „Alien“, „Sinister“ oder auch das Videospiel „Amnesia – The Dark Descent“[1].

Falls ihr den ultimativen Beweis für die Macht der Vorstellungskraft sucht, stöbert mal ein bisschen in den „Kürzesten Horrorgeschichten der Welt“. Gänsehaut garantiert – und das nur mit wenigen Worten. Den Rest macht eure Fantasie.

Fazit

In wenigen Worten Angst, Furcht oder Grauen zu erzeugen ist möglich, aber nicht einfach. Nicht alle Menschen haben vor denselben Situationen oder Kreaturen Angst, ähnlich wie Humor ist auch Horror extrem spezifisch. Trotzdem schaffen es manche Werke, eine große Menge von Leser*innen oder Zuschauer*innen in Angststarre zu treiben. Die oben genannten Punkte sind sicher nur die Spitze des Eisbergs. denn literarische oder filmische Stilmittel, Kameraführung, Plotgestaltung etc. habe ich hier noch völlig außen vor gelassen. Sie sind aber nichtsdestotrotz wichtig.

Wie steht es mit euch, womit kann man euch schockieren? Welche Filme oder Bücher haben euch so richtig das Fürchten gelehrt? Stellt euch doch auch der Geekquest.

Eine laaange Liste von Horror-Filmen, die ich empfehlen kann, findet ihr bei mir auf Twitter oder eine kleine, feine Auswahl in diesem Blogartikel.

[1] Zugegeben, ich habe „Amnesia“ nie gespielt – ich wäre dabei vor Angst gestorben!, – aber ich hab anderen furchtlosen Menschen zugesehen und das hat mich schon arg fertig gemacht.

7 Gedanken zu „„Fürchtet euch sehr!“

  1. Den Punkt mit dem „unbeknannten Grauen“ finde ich gut, werde ich mir merken und an passender Stelle einfügen 😉
    Was mich früher wie heute immer noch gruselt ist der deutsche Film „Der Gonger“. Keine Ahnung, warum gerade dieser, aber der kleine junge mit den blauen Augen machte mir eine zeitlang ganz schön zu schaffen. Vielleicht lag es daran, dass der Film kein gutes Ende nimmt – das Grauen wird nicht gebannt oder findet irgendwo seinen Frieden, obwohl die Protagonisten das die ganze Zeit versuchen zu erreichen…

    1. Super, viel Spaß dabei! Irgendwann traue ich mich auch mal an einen Horrorroman, ich träume schon lange davon. Aber ich hab auch großen Respekt davor.

      „Der Gonger“ kenne ich gar nicht, aber ich merke ihn mir mal vor. (Horror-)Filmtipps nehme ich immer gerne an. 🙂

      1. Ich schreib keinen Horror-Roman, aber Spannung und ein bisschen Gruseln kann man ja auch in einem Fantasyroman 🙂
        Die meisten finden ihn gar nicht so gruselig. Aber für mich ist er purer Horror^^

  2. Ich glaube, wenn man die Szene selbst schreibt, sie vor sich sieht und weiß, was gleich kommt, dann ist das noch mal unheimlicher als für den Leser. 😉 Darin liegt ja die Kunst, das zu transportieren.

  3. Haha, ja, die Analyse könnte problematisch werden, wann man nur mit den Händen vorm Gesicht da sitzt. 😉 „Blairwitch“ ist ja ein klassischer Found-Footage-Film, also komplett mit Handkamera gedreht. Da wäre es sicher interessant, diese Wirkung gerade in Bezug auf den „Gruselfaktor“ zu untersuchen. Viele Filme haben das ja später nachgemacht (die „Paranormal Activity“-Reihe, z.B.).

    Mit dem Alltagsbezug hast du völlig recht, der Punkt ist mir beim Schreiben des Artikels auch eingefallen. Je „wahrscheinlicher“ ein Szenario, desto stärker bezieht man es auf sich selbst und desto unheimlicher kommt es einem vor. Das ist ja auch ein großer Faktor bei „Blairwitch“ – die Situation kann sich jeder irgendwie vorstellen. Ganz im Gegensatz zu (krasser Kontrast) Filmen wie „Alien“ oder „Predator“. Die können auch gruselig sein, aber sie gehen einem persönlich nicht so nah.

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