Heute heißen wir unseren ersten Patienten auf der Charakter-Couch willkommen: Jonas. Der junge Mann ist 26 Jahre alt, ehemaliger Bundeswehr-Soldat, kräftig gebaut und unauffällig, aber sein unsteter, rastloser Blick verrät, das mehr unter der Fassade schlummert. Was das sein könnte versuchen wir im heutigen Gespräch ein bisschen ans Licht zu bringen ..
Guten Tag, Jonas, bitte nehmen Sie Platz. Wie fühlen Sie sich heute?
Jonas setzt sich auf die Kante des Stuhls. Sein Blick wandert unstet im Raum umher; von Ecke zu Ecke und bleibt schließlich auf dem Schrank ruhen.
Äh, okay.
Er sieht nun hinüber und nestelt unruhig an seinen Fingern.
Den Umständen entsprechend, würde ich sagen.
Er seufzt und sieht auf seine Finger.
Die Albträume kommen wieder öfter. Mittlerweile verbringe ich mehr Zeit im Krieg als im Hier und Jetzt.
Hm, das klingt beunruhigend. Können Sie beschreiben, wie lange das schon so geht?
Dass sie so häufig sind oder generell? Die Albträume habe ich eigentlich, seit ich aus dem Krieg zurückgekehrt bin, wenn man das so nennen kann. Eine Zeitlang habe ich gedacht, dass ich nur ein wenig Zeit brauche und als ich Sophie kennengelernt habe, sind sie auch besser geworden.
Er zuckt mit den Schultern.
Nun, ja, bis sie eben wieder schlechter geworden sind. Silvester wäre ich fast nicht wieder aufgewacht.
Ist es Ihnen schwergefallen, hierher zu kommen? Mit jemandem darüber zu sprechen? Wie geht es Ihnen damit?
Man erwartet nicht, dass man mit sowas heimkommt. Als ich mich zum Bund und dann für die Auslandseinsätze gemeldet habe, war mir klar, dass ich verwundet werden könnte, sogar sterben. Aber nicht, dass ich heimkehre und den Krieg nicht mehr loswerde. Wenn die Leute mich fragen, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Schließlich sind alle so froh, dass ich wieder da bin und dass mir nichts passiert ist. Mein Vater ist sogar stolz. Wie soll ich da die Wahrheit sagen?
Zögernd fährt er leise fort: Manchmal … manchmal wünschte ich mir, ich wäre einfach nie zurückgekehrt.
Er krallt die Finger um die Sitzkante, als müsste er sich daran hindern aufzustehen.
Atmen Sie tief durch, Jonas. Sie sind hier. Sie sind in Sicherheit. Haben Sie jemand anderen in Ihrem Umfeld, mit dem Sie über Ihre Probleme reden können? Familie, Freunde?
Sophie vielleicht, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie das versteht. Wahrscheinlich bin ich für sie sowieso nur so ein irrer Wahnsinniger.
Ernst und ungewöhnlich harsch: Außerdem bin ich eine Gefahr für sie. Lassen wir das lieber. Das mit Sophie ist vorbei.
Welche Beziehung verbindet Sie denn mit Sophie? Und wieso halten Sie sich für eine Gefahr?
Genau genommen, gar keine. Wir haben lediglich zusammen gewohnt. Aber von Zeit zu Zeit, als sie noch etwas Tageslicht hatte, haben wir uns unterhalten, unter anderem darüber. Ich konnte es ja auch kaum geheimhalten, nachdem ich gleich in der ersten Nacht ihr Wohnzimmer verwüstet habe.
Er reibt sich die Hände. Das war unangenehm. Danach ging es eigentlich, bis …
Er starrt eine Weile ins Leere, bis er sich wieder abrupt der Therapeutin zuwendet. Wenn ich die Albträume habe, weiß ich nicht, was ich tue. Dann bin ich in Afghanistan und jeder, der sich mir nähert ein potentieller Feind. Es dauert, bis ich wieder richtig zu Sinnen komme.
Haben Sie versucht, mit Ihrem Vater darüber zu sprechen? Sie haben letztes Mal erzählt, dass er selbst bei der Bundeswehr war. Vielleicht hat er ähnliche Erfahrungen gemacht.
Dann wäre er wohl nicht noch immer dabei oder? Ich … nein, ich habe mich bisher nicht getraut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es versteht. Die Bundeswehr ist doch das Beste auf Erden.
Klingt, als wäre Ihre Beziehung kompliziert. Wie stehen Sie zu Ihrem Vater? Was ist die schönste Erinnerung, die Sie mit ihm verbinden?
Er seufzt schwer. Wie stehe ich zu ihm? Er ist mein Vater. Er hat Felix und mir schon von kleinauf nahegelegt, wie wichtig der Dienst am Vaterland ist. Sie hätten ihn mal sehen sollen, als man die Wehrpflicht abgeschafft hat!
Eine schöne Erinnerung? Mir hat es immer Spaß gemacht, wenn wir zusammen campen gegangen sind. Nur mein Vater, mein Bruder und ich mit dem Allernötigsten. Den Rest mussten wir uns vor Ort zusammensuchen oder improvisieren. Ich durfte immer die wildesten Unterstände für uns planen, solange sie uns trocken und geschützt hielten.
Und die schlechteste?
Die eben noch dagewesene Fröhlichkeit weicht vollkommen aus seinem Gesicht. Als er mir sagte, dass er stolz auf mich ist.
Jonas sieht zu Boden. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Philipp ist gestorben und da klebte so viel Blut an meinen Händen. Ich war völlig nutzlos gewesen und mein Vater war stolz da drauf. Der Stolz verging ihm ziemlich schnell, als er von meinem Austritt erfahren hat.
Sie haben vorhin von Albträumen gesprochen. Haben Sie Strategien, wie Sie damit umgehen?
Jonas lacht freudlos auf. Wenn Sie meinen, dass ausharren und hoffen, dass es schnell vorbei ist, eine Strategie ist? Ich nehme an, der Alkohol ist eine, aber der sorgt eigentlich nur dafür, dass es irgendwie erträglich ist und ich nicht um mich schlage oder die Inneneinrichtung zertrümmere. Ein wenig beschämt: Nicht, dass das oft vorkommt.
Alkohol ist eine trügerische Hilfe, aber das wissen Sie sicher. Haben Sie jemals andere Drogen genommen?
Ernst und vollkommen aufrecht sitzend. Drogen? Nein. Das hat man ja bei Sophie schon gesehen, was das für Auswirkungen hat. Etwas spöttisch. Obwohl, das sind ja keine Drogen, sondern „Zaubermittel“.
Er schüttelt ernst den Kopf. Nein, der Alkohol ist schlimm genug.
Wenn sie jetzt etwas an Ihrem Leben ändern könnten, was wäre das? Wie würden Sie es angehen?
Ich würde gerne studieren. Etwas, was von Substanz ist. Ingenieurwesen vielleicht oder Architektur. Jonas zuckt mit den Schultern.
Das letzte Mal, dass ich es probiert habe, habe ich kein Semester durchgehalten. Albträume machen sich nicht so gut in WGs oder Vorlesungen. Vielleicht gibt’s ja irgendwo ein Fernstudium, oder so etwas. Muss ich mal drüber nachdenken. Erst mal will ich aber mit mir selbst klarkommen. Das ist glaube ich das Wichtigste im Moment. Aufhören, davon zu laufen und mein Leben wieder in den Griff bekommen.
Das klingt nach einem guten Plan. Zuletzt möchte ich mit Ihnen einen kurzen Test durchführen. Bitte sagen Sie mir, was Sie auf diesem Bild sehen.
Rauch. Staub. Seine Hände zittern leicht. Wie die Staubwolken, die aufsteigen, wenn eine Granate in der Stadt einschlägt.
Alles gut, Sie sind immer noch in Sicherheit. Hier, nehmen Sie einen Schluck Wasser. Wenn wir gleich auseinandergehen, was erhoffen Sie sich von unserer nächsten Sitzung?
Dass Sie mir erklären, wie ich mit diesen Albträumen fertig werde. Etwas leiser: Oder einfach, wie ich ein normales Leben leben kann, ohne … all das.
Ich bin mir sicher, wir finden eine Lösung. Ich kann Ihnen ein paar Entspannungstechniken zeigen, vielleicht hilft das fürs Erste. Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Familie auch einmal bitten, mitzukommen. Denken Sie, das würde Ihnen helfen?
Jonas schüttelt den Kopf. Auf keinen Fall mein Vater. Er hält nicht viel von solchen – er zögert – „Quacksalbern“.
Nach weiterem Zögern. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne meine Mutter mitbringen. Sie macht sich viele Sorgen und vielleicht hilft es ihr, wenn sie es besser versteht. Ich weiß immer nicht, wie ich es erklären soll.
Wenn Sie Ihrer Mutter vertrauen, dann ist das bestimmt eine gute Idee. Es würde Ihnen sicher gut tun, jemanden in ihrer Nähe zu haben, dem Sie sich anvertrauen können. Der Ihre Sorgen nachvollziehen kann. Denken Sie nicht?
Hm, ja, vielleicht … Okay, dann bis zum nächsten Mal. Jonas verlässt mit hängenden Schultern das Sprechzimmer.
Wie es mit Jonas weitergeht, ob er sein Trauma überwindet und inwiefern die geheimnisvolle Sophie damit zu tun hat, das erfahrt ihr bald in der Märchenadaption „Im Bann der zertanzten Schuhe“ von Janna Ruth.
Website: http://www.janna-ruth.com/
Facebook: https://www.facebook.com/authorjannaruth
Mehr über die Märchenspinnerei: http://maerchenspinner.layeredmind.de/
Quellen:
Maercker, A., Forstmeier, S., Wagner, B., Glaesmer, H. & Brähler, E. (2008). Posttraumatische Belastungsstörung in Deutschland. Ergebnisse einer gesamtdeutschen epidemiologischen Untersuchung. Nervenarzt, 79, 577-586.
Möller, H.J., Laux, G. & Deister, A. (2009). Psychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme Verlag.
Wittchen, U. et al (2012). Traumatische Ereignisse und posttraumatische Belastungsstörungen bei im Ausland eingesetzten Soldaten. Wie hoch ist die Dunkelziffer? Deutsches Ärzteblatt, 109, 559-567.
Habt ihr Fragen an mich oder Jonas? Wollt ihr mehr über ihn oder sein Krankheitsbild wissen? Nur zu. Die Visite ist eröffnet.
Der nächste Sitzungstermin findet am 20. Juni statt, und ich darf schon einmal verraten, dass wir es dann mit einem höllischen Patienten zu tun haben. Lasst euch überraschen.
Übersicht über alle bisherigen Termine: Teaser: Charaktere auf der Couch
Das Interview hat eine Menge Spaß gemacht und ich finde du hast es hier auch noch mal schön aufbereitet. Ich freue mich auf die nächsten Patienten.
Das ist ein tolles, individuelles Format. Klasse 😀
Dankeschön, das freut micht total! <3
Erzählt es gerne weiter, die Resonanz unter den Autoren war echt groß und ich würde die Reihe wahnsinnig gerne weiter fortsetzen.
Unbedingt. Kann meine Charlie schon einen Termin ausmachen? So fürs Jahresende, da sie ja erst nächsten Monat die große Bühne betritt. ^^
Die Praxis ist tatsächlich schon ziemlich voll (wie im echten Leben XD), aber im Dezember wäre tatsächlich noch was frei. Ich setze dich gerne auf die Liste.