Self-Publishing vs. Verlag: Impressionen vom #Litcamp17
Was waren das noch für schöne Zeiten, als die Klischee-Schubladen noch klar definiert waren! Es gab die arroganten (Groß-)Verlagsautoren, die hochwertige Literatur schrieben, erfolgreich waren und Buchläden füllten. Und dann gab es Self-Publishing, für selbstverliebte Traumtänzer, die kein Verlag haben wollte.
Zum Glück sind diese Vorurteile – auch dank der Verbreitung von Book-on-demand-Anbietern – weitgehend passé. In manchen Köpfen mögen solche Klischees noch verankert sein, doch sie weichen zunehmend auf. Immer mehr Autoren entscheiden sich bewusst dafür, ihr Buch selbst zu verlegen, oder als Hybrid-Autor (Vorsicht, nicht Hybrid-Auto, das ist was anderes!) sowohl im Verlag als auch im Self-Publishing zu veröffentlichen. Der Selbstverlag hat sein Schmuddelimage verloren.
Auf dem Literaturcamp 2017 in Heidelberg fanden sich gleich zwei ehemalige Großverlags-Autoren, die umfangreich von ihrem Ausstieg aus der Verlagswelt berichtet haben und von den Gründen, die sie dazu bewogen haben, zum Self-Publishing zu wechseln. Für mich, die ich immer noch auf der Suche nach der optimalen Veröffentlichungs-Strategie bin, ein echter Augenöffner.
„Verlage wagen nichts Neues!“
Martin Krist schreibt seit rund 20 Jahren Bücher, veröffentlich Biographien, Thriller und Erotik. In seiner Session auf dem LitCamp, die im Livestream übertragen wird, findet er klare Worte dafür, warum ihn seine Arbeit als Verlagsautor frustriert. „Publikumsverlage wollen keine Experimente“, sagt er sinngemäß. Sie wollen den Mainstream bedienen, verkaufen lieber den sechsten Dan Brown oder den vierten Joe Katzenbach, als einen neuen, ungewöhnlichen Autor mit frischen Ideen. Sie trauen sich nicht, Risiken einzugehen, etwas zu wagen, neue Wege zu beschreiten. Die ultimative Bestätigung kommt dabei von Nika Sachs. Ihr Manuskript wurde von einer Agentur abgelehnt, weil es „zu clever“ und zu „persönlich authentisch“ sei. Aber, so die Agentur, sie könne es ja mal mit der Veröffentlichung versuchen. Manchmal würde das funktionieren.
Von Autorenseite kommen überwiegend klare Worte: Wenn die Verlage nicht anfangen würden, Risiken einzugehen, auch innovative, neue Literatur zu fördern, würden sie sich langfristig selbst abschaffen. Zu verlockend sei die Option, im Self-Publishing eigene Ideen direkt und unmittelbar umzusetzen. Auch als Leser scheint es doch attraktiver, unter den erfolgreichen Self-Publishern oder engagierten Kleinverlagen die Perlen heruszupicken, statt den dritten Aufguss bekannter Plots und Charakterkonstellationen zu lesen. „Den trinkenden Ermittler kann ich nicht mehr sehen“, bestätigt Martin Krist.
Ein provokanter Einwand erreicht die Diskussion jedoch von außerhalb des Litcamps: „Wie können Autoren vom Markt leben, aber nicht für ihn schreiben wollen?“ Ein guter Punkt. Wie lässt sich diese Diskrepanz vereinbaren?
Der Markt, das unbekannte Wesen
Zu allererst sollten wir uns im Klaren darüber werden: Was ist überhaupt „der Buchmarkt“? Eine schwierige Frage. Der Markt speist sich aus vielen Größen. Aus Leserinteressen, aus Verlagsmarketing und aus den Präferenzen der Buchhändler, die die Produkte platzieren und bewerben.
Klar ist auf jeden Fall, er ist keine statische Größe. Vor Harry Potter gab es keinen Markt für Romane über Zauberer. Vor Twilight keinen Markt für Vampir-Romantasy. Es braucht einen Vorreiter, eine Ikone, die den Weg bereitet. Nun ist es sicherlich vermessen zu glauben, dass in jedem Autor eine J.K. Rowling oder eine Stefanie Meyer steckt, aber Hand aufs Herz: wissen können wir es nicht. Und hätte vor 20 Jahren nicht ein englischer Kleinverlag das Experiment gewagt, einen Zauberschüler in Mini-Auflage von 500 Stück zu drucken, wäre die Fantasy um einiges ärmer.
Dennoch ist es schwer, den großen Verlagen diesbezüglich einen Vorwurf zu machen. Verlage sind Wirtschaftsunternehmen, sie müssen verkaufen. Geld wird nicht mit der verhältnismäßig kleinen Gruppe der Intensiv- und Vielleser gemacht, die exzessiv über ihre Lektüre nachdenken und innovative Inhalte suchen, sondern mit der riesigen Gruppe an Gelegenheitslesern. Den Urlaubs-, Bahnfahr-, „Ich brauch jetzt was Seichtes für zwischendurch“-Lesern. Mal ehrlich – wir alle nehmen uns regelmäßig vor, anspruchsvolle Literatur zu lesen, Netflix mal auszuschalten und ein gutes Buch in die Hand zu nehmen. Aber allzu oft werden wir diesen Ansprüchen auch nicht gerecht.
Wir halten fest: Gerade im Großverlags-Kontext sinkt die Bereitschaft für Experimente, für Risiken, für Neues. Eine Entwicklung, die viele Autoren frustriert, denn egal wie handwerklich präzise und professionell ein Autor arbeitet, der Wunsch nach Innovation und Weiterentwicklung bleibt immer präsent. Nun kann man es Verlagen nicht zum Vorwurf machen, wirtschaftlich zu denken. Martin Krist hat eine andere Empfehlung: „Die Verlage sollten sich wieder mehr auf ihre Kernkompetenzen besinnen: neue Autoren finden, fördern und behalten.“
Das Sterben der Midlist
Eine andere negative Entwicklung prangert sowohl Martin Krist als auch Lilith van Doorn an, die ebenfalls in großen Verlagen veröffentlicht hat, sich jetzt aber in Richtung Self-Publishing orientiert. „Das meiste Geld“, erklärt Martin Krist, „fließt in die Bestsellerautoren. Die Midlist-Autoren gehen dabei unter.“ Werbung wird für die Megaseller gemacht, die Importe, die großen Namen. Nicht für die Neulinge, von denen man sich nur mittlere Verkaufszahlen erhofft. Demnach ein weiterer Faktor, der zum Frust bei Verlagsautoren führt. Wer nicht zu den ganz großen Megasellern gehört, geht schnell in der Masse unter und unterliegt der Gefahr, als Flop abgestempelt zu werden. „Viele Autoren vermissen die Wertschätzung“, erklärt Lilith van Doorn. Autoren erleben sich im Großverlag als Content-Maschinen, sogar das Wort „Fußabtreter“ fällt.
Wer davon ausgeht, als Autor im Großverlag durch die verkauften Bücher automatisch ein Vermögen zu verdienen, der irrt. Die meisten Autoren leben vom Garantiehonorar („Vorschuss“), das sich allerdings selten in einem Rahmen bewegt, der finanzielle Sorglosigkeit ermöglicht. Die einzige Chance besteht darin, wieder und wieder zu veröffentlichen, viel zu schaffen – und erfolgreich zu sein. „Flopt das Buch eines Autors“, erklärt Lilith van Doorn, „ist sein Name oft verbrannt. Dann besteht die einzige Chance in einem neuen Pseudonym.“ Oder im Weg ins Self-Publishing.
Letzter Ausweg Self-Publishing?
In ihrer Session trägt Lilith van Doorn eine ganze Reihe Pro- und Kontra-Argumente zusammen, die für bzw. gegen Verlag oder Selfpublishing sprechen. Ich hab sie euch in folgender Übersicht einmal zusammen gestellt.
Grundlegend lässt sich zusammenfassen: Sowohl Self-Publishing als auch die Arbeit als Verlagsautor bieten Vor- und Nachteile gleichermaßen. Sie sollten nicht als konkurrierende Pfade betrachtet werden, sondern viel eher als unterschiedliche Wege, um zum selben Ergebnis zu kommen, nämlich das eigene Buch zu verkaufen und die eigenen Geschichten zu verbreiten. Welcher Weg dabei der Beste ist, muss jeder Autor für sich selbst entscheiden. Persönlichen Vorlieben, finanzielle Gesichtspunkte und literarische Wunschthemen können bei der Entscheidungsfindung helfen.
Wer noch tiefer in die Materie eintauchen will, kann sich die gesamte Diskussion mit Martin Krist auch in einem Video der Session anschauen. Außerdem gibt es auf Tapsis Bücherblog noch eine weitere sehr gute Zusammenfassung.
Vielen Dank für die gute Zusammenfassung!
Es ist schon interessant zu sehen, dass immer mehr Autoren die gleichen Erfahrungen machen und wie sehr sich der Buchmarkt im Wandel befindet. Häufig zu Ungunsten der Autoren, ohne die jedoch gar kein Markt bestehen würde …
In einem Punkt müsstest du allerdings deine Tabelle noch angleichen: Im Self Publishing erhält man auch nicht den vollen Buchpreis als Tantieme sondern einen Prozentsatz, der zwischen 30 und 70 Prozent liegt (je nach Plattform und Verkaufspreis). Der Prozentsatz fürs Taschenbuch liegt allerdings deutlich unterhalb der 10 Prozent, abhängig auch wieder vom Vertrag.
Auf den Mitschnitt von Martins Session bin ich jedenfalls sehr gespannt!
Viele Grüße,
Lilith
Vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freue mich, wenn ich deinen Standpunkt und den Martins einigermaßen treffend zusammenfassen konnte. Ich fand es auch sehr bereichernd, eure Erfahrungen zu hören. Gerade, wenn man – wie ich – noch am Anfang der Autoren-Karriere steht, macht einen das doch nachdenklich.
Danke auch für den Hinweis mit den Tantiemen, du hast natürlich recht, das hatte ich vergessen anzufügen. Werde ich auf jeden Fall ergänzen.
Martins Session ist mittlerweile auch als Video verfügbar: https://t.co/J0eb7epj8p
Gelungene Zusammenfassung. Vielen Dank.
Sehr gerne. Danke für deine interessanten Gedanken zum Thema, die Session war wirklich sehr wertvoll.
Mich interessiert insbesondere die 3. Möglichkeit der Publikation: der Selbstverlag. Er schlägt ja die Brücke zwischen Verlag und Selfpublishing. Zu wirklichen Erfahrungswerten findet man eigentlich nichts. Wäre das nicht eine interessante Ergänzung?
Lieber Andreas,
danke für deinen kommentar und entschuldige, dass ich ihn erst jetzt entdecke. Mit Selbstverlag meinst du, man gründet einen Verlag, um die eigenen Werke zu vertreiben? Damit habe ich leider gar keine Erfahrung, aber du hast sicher recht, dass das auch eine Möglichkeit wäre. Ich persönlich sähe im Moment allerdings wenig Vorteile durch eine Verlagsgründung, solange nicht das Interesse besteht, langfristig auch andere Bücher als die eigenen zu verlegen. Denn wenn nur die eigenen Bücher verlegt werden sollen, worin läge dann der Vorteil zum klassischen Self-Publishing? Ich würde da eher Nachteile sehen hinsichtlich Gewerbe, Steuer, Bürokratie etc.
Sicher ist der Aufwand ein wenig höher, aber wer seine Autorentätigkeit vernünftig abrechnet, für den ist der Aufwand nur ungleich höher. Natürlich muss man mehr Zeit in die Planung und die rechtlichen Rahmenbedingungen investieren, aber da gibt es Unterstützung.
Die Vorteile jedoch sind gar nicht mal so unerheblich. Da wäre zunächst der Verdienst. Wählst du jemanden wie BoD oder einen anderen Dienstleister zur Veröffentlichung, verdient immer einer mit. Das ist Geld, dass dir als Autor genommen wird. Als Selbstverlag kann man den Verdienst teilweise mehr als verdoppeln und das bei niedrigeren Buchpreisen! Ein weiterer Faktor ist, dass die der stationäre Buchhandel plötzlich offen steht. Kooperationen, lokale Listungen sind mit Verlagen, auch Kleineren, nicht unüblich. Die Möglichkeiten sind also auch im Absatz größer. Zudem kommt der Vorteil als Verlag auch online bessere Verfügbarkeiten und Lieferzeiten zu haben. Auch ist das Vertrauen von Leserseite in einen Verlag höher und damit auch der Kaufanreiz.
Ein anderer Punkt, der mir wichtig ist, wäre die Gestaltung und Beschaffenheit der Bücher. Selfpublisher bekommen Bücher nur in B-Ware Qualität. Papier, Format und Aufmachung entsprechen nicht dem sonst üblichen Marktstandard und „brandmarken“ Selfpublisher, als eben genau solche. Die Qualität bei Amazons Taschenbüchern ist wirklich unterirdisch. Ich komme aus der Druckbranche und kann das noch besser beurteilen. Dabei ist die Herstellung eines Buches mit besserem Papier, geprägtem Cover und Glanzeffekt nur ungleich teurer.
Da man die Werbung als Selfpublisher ohnehin selbst macht, ändert sich da nichts. Nur mit dem Unterschied, das einem als Verlag eher zugehört wird.
Ich beschäftige mich gerade mit diesem Schritt, deswegen bin ich so interessiert 🙂
Spannend, vielen Dank für deine Einblicke.
Ich schätze, wenn man die langfristige Perspektive im Blick hat, ist das sicher eine Alternative, über die es sich nachzudenken lohnt, auch wenn sie sicher viel Vorbereitung und Planung erfordert.
Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg dabei. Jetzt wollte ich dir gerade auf Twitter folgen, um deine Pläne im Blick zu behalten, und stelle fest, das tue ich schon. Um so besser. 😀